Kuss der Sünde (German Edition)
der Fingerspitze an seinen Nasenflügel. „Sie muss jeder Untersuchung standha l ten. Nichts darf darauf hinweisen, dass es eine Fälschung sein könnte. Ich nenne nur einen Namen: Marie Antoinette.“
Jetzt war es an Olivier , zu schlucken. Seine Sehnsucht nach einem Frühstück schwand. Wenn die Königin ins Spiel kam, begab er sich auf spiegelglattes Eis. Es könnte ihn den Kopf kosten, doch ein hoher Einsatz versprach einen ebenso hohen Gewinn.
Vilette deutete auf das kleine Billet und schmunzelte. „Welche Antwort darf ich Madame überbringen, Monsieur Brionne?“
Was hatte die de La Motte, die sich mit dem Titel einer Comtesse schmüc k te, ausgeheckt? Das Gespür für ein einträgliches Geschäft paarte sich mit se i nem Hang zu Risiken und Neugier. „Richten Sie ihr aus, dass ich ihre Einl a dung annehme.“
Nach den Jahren auf dem Gut ihrer Großmutter wirkte der Salon ihrer Eltern auf Viviane wie eine fremde Welt, aus der alles Schlichte und Zweckmäßige verbannt worden war.
Anstatt nach Hundehaar und Pferd roch es nach Flieder, dessen Stängel in Vasen aus feinem Porzellan standen. Intarsien aus Gold und Silber zierten das weiße Mobiliar. Überall standen Schälchen, Spieldosen und kleine Porzella n schäfer samt Schäfchen herum, und die Pastellfarben der Tapete und Sitzm ö bel schienen ineinanderzufließen. Geschmackvoll und überaus dekadent. Ihr Vater, Germain Marquis de Pompinelle, lebte mit seiner Familie auf großem Fuß und ließ es jeden wissen.
Bei Hofe wurde er um sein stetig anwachsendes Vermögen ebenso beneidet wie um die Gunst der Königin. Obwohl ihm eine hohe Intelligenz nachgesagt wurde, zeigte er seinen Kindern gegenüber große Nachsicht. Diesmal hatte Viviane sie wohl überstrapaziert.
Sein Mund war schmal, sein Blick betrübt. Sie wich ihm aus und spähte zu ihrem Bruder Justin. Was machte er hier? Offensichtlich hielt er sich als einz i ger Sohn und Erbe von Titel und Vermögen für berechtigt, neben ihr zu si t zen, dieser hochgeschossene Spargel von gerade einmal fünfzehn Jahren.
„Was hast du dir dabei gedacht, Viviane?“, hob ihr Vater an. „Eine junge Dame sollte es besser wissen.“
Sie betrachtete ihre im Schoß gefalteten Hände und suchte nach einer z u friedenstellenden Antwort. Sollte sie zugeben, dass in bestimmten Momenten ihre Gedanken aussetzten und ein innerer Zwang die Führung übernahm? Nein, das wusste er längst. Sie könnte sich entschuldigen. Ja, das war ein guter Anfang, obwohl es bei Grandmère Claude wenig geholfen hatte.
„Es tut mir leid. Ich wollte Ihnen keinen Kummer bereiten, Papa.“
Mit einem schweren Seufzen legte er das Kinn in die Hand und wechselte das Thema. „Hast du deine Mutter bereits aufgesucht?“
Zu ihrem großen Glück hatte Maman bei ihrer Ankunft früh am Morgen noch geschlafen. Vor dem Mittag konnte Marianne de Pompinelle höchstens eine Katastrophe wie etwa das Jüngste Gericht oder feindliche Truppen vor Paris aus dem Bett scheuchen. Obwohl jeder es wusste, durfte sie das natü r lich nicht laut aussprechen. „Leider fehlte mir dazu bisher die Zeit.“
„Deine Schwestern hast du aber gewiss schon gesehen?
„Auch das blieb mir ersp… versagt . “ Ihre albernen Schwestern hatten es vorgezogen, durch das Schlüsselloch zu spitzen. Ihr Flüstern und Kichern hatte sie deutlich gehört, wobei in ihr wie üblich die Frage aufkeimte, weshalb sie ausgerechnet in diese Familie hineingeboren war. Schlichtweg alles drehte sich um nichtigen Zeitvertreib, und das war keineswegs förderlich. Stärkere Prinzipien hätten vieles verhindern können. Aber selbst ihr Vater neigte dazu, diese bei seinen Kindern zu vergessen, das bewies sein schneller Theme n wechsel. Es sah nicht danach aus, als woll t e er den Brief von Grandmère Claude erwähnen. Das kleine Techtelmechtel mit dem Sohn eines Advokaten mochte sie verschwiegen haben, aber der Schnupftabakdose ihres alten Freundes Abbé Louvelles hatte sie bestimmt einige Zeilen gewidmet. Schlie ß lich hatte sie dazu geführt, dass Viviane nach Hause geschickt worden war.
„Ist es wahr, dass du mitten in der Nacht in den Wald gegangen bist, um im See zu baden? Ohne Kleider?“, fragte Justin und grinste.
Unmerklich fuhr sie zusammen. Ihrem Bruder schien Schamgefühl fremd zu sein. Hitze brannte auf ihren Wangen. Sie bedachte ihn mit einem schrägen Blick aus den Augenwinkeln.
„Ich trug mein Hemdchen“, gab sie spitz zurück.
„Dann ist es wohl auch wahr,
Weitere Kostenlose Bücher