Kuss der Sünde (German Edition)
zu klatschen. Sie hatte nach einem Meister in seinem Fach Ausschau gehalten und ihn g e funden. Ebenso schnell konnte sie ihn wieder verlieren. „Lassen Sie uns ins Haus gehen . In meine m Boudoir ist es kühl, und bei einem guten Wein pla u dert es sich angenehmer über Details.“
Olivier sah zu dem Fenster auf, von dem Vilette soeben erst zurückgew i chen war. Mit einem undeutbaren Lächeln ließ er ihr den Vortritt ins Haus und legte dabei die Hand in ihr Kreuz. Die leichte Berührung schien ein Ve r sprechen auf mehr zu sein. Eine jener stummen Zusagen, die sie einzufordern gedachte.
Kaum betrat Viviane das Boudoir ihrer Mutter , füllten sich ihre Lungen mit dem schweren Duft von Puder und Verbenen.
Jegliche Höflichkeit missachtend eilte sie auf das Fenster zu, durch dessen offenen Spalt Frischluft drang. Erst als sie auf dem weichen Kissen der Fen s terbank saß und der Hustenreiz nachließ, wurde sie sich ihrer Unhöflichkeit bewusst. Ihre Schwester Juliette saß in einem Fauteuil ihr gegenüber und maß sie unter halb geschlossenen Lidern geringschätzig ab. Die Zofe Minette hatte in der Arbeit innehalten und richtete die Spitze eines Puderzerstäubers auf sie, als wäre es eine Waffe. Einzig ihrer Mutter war alles entgangen. In einem Hauch von einem Negligé und offenem Morgenmantel saß sie vor einem Spiegel und hielt sich zum Schutz vor dem Haarpuder einen Trichter vors Gesicht. Auf ihrem Kopf saß ein schneeweißes Lockengeriesel.
„Was ist?“, drang es dumpf aus dem Trichter.
„Ihre Tochter ist eingetroffen, Madame La Marquise“, antwortete Minette und legte den Zerstäuber beiseite.
„Viviane! Endlich!“
Als sich der Trichter senkte, starrte Viviane stumm vor Schreck auf das G e sicht, das sich dahinter verborgen hatte. Es war von einer dicken Schicht P u der bedeckt, die jegliche Mimik tilgte. Wäre das Leuchten der kornblume n blauen Augen nicht gewesen, hätte es zu einer Wachsfigur gehören können. Zwei absurd schmale B o gen in tiefem Schwarz saßen über den Augen, und der Mund hatte die Form eines kirschrot ausgemalten Herzchens.
„Du meine Güte, wie siehst du bloß aus?“
Dieselbe Frage schoss ihr soeben selbst durch den Kopf. Vor wenigen Ja h ren – etwa zehn mussten es sein – hatten die Höflinge ihre Mutter die s chöne Marianne genannt. Was von dieser Schönheit noch übrig war, verbarg sich unter Puder, Rouge und Lippenrot. Immerhin, das mitreißende Lachen gehö r te unverkennbar zu ihr .
„Was trägst du denn da, um Himmel willen ?“
Unvermittelt fiel Juliette in das Lachen ein.
„Maman, Sie haben mir doch selbst diesen Stoff besorgt“, sagte Viviane und strich über den Rock.
„Ich dachte, meine Mutter benötigt neue Vorhänge. Wie hätte ich darauf kommen sollen, dass du dir daraus ein Kleid schneiderst? Also nein, das ist unmöglich. Dieses Dekolleté! Du musst dein Kapital zeigen, Kind. Als hätte ich es geahnt, habe ich vorsorglich einen Termin im Grand Mogul vereinbart. Schon m orgen . Die Bertin ist ein Genie, ihre Roben einzigartig. Herrje, du darfst auf keinen Fall in dieser Aufmachung gesehen werden!“
Sie riss die Augen auf, kehrte sich abrupt ihrem Spiegelbild zu und begu t achtete ihre eigene Aufmachung. Mit spitzen Fingern zupfte sie an den kurzen Locken ihrer Perücke.
„Ich werde nicht lange genug bleiben, um in festlichen Roben zu brillieren, Maman. Ich habe andere Pläne.“
„Ach ja? Welche sollten das sein?“
Viviane atmete durch. Sie musste ruhig und entschieden klingen. Zur Not zu einer kleinen Lüge greifen. „Papa war sehr angetan davon. Es handelt sich um ein Pensionat in der Bretagne. Abseits des Trubels. Einige wenige gibt es bereits, und ich bin sicher, sie werden eines Tages die kirchlichen Konvents ersetzen.“
„Also, was redest du da? Du bist eine Pompinelle. Es steht außer Frage, dass du trotz deiner zwanzig Jahre eine vorteilhafte Ehe eingehen wirst. Schließlich kommst du nach mir. Ja, ganz und gar nach mir.“
Im Augenblick gewiss nicht, da sie sich nicht einmal selbst ähnlich sah.
„Bei allem Respekt, Maman, eine Heirat ist ausgeschlossen.“
„Weshalb ?“ Marianne spitzte die Lippen. „Falls du unvermählt bleibst, muss Justin später für dich aufkommen. Er ist ein lieber Junge und wird sich dieser Pflicht annehmen, aber bedenke, wie eintönig sich dein Leben als alternde Jungfer im Haus deines Bruders gestalten würde.“
Juliette verdeutlichte diese Eintönigkeit, indem sie die Hand
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