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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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sich dabei so gewaltig an, daß die Nähte im Himmel platzten, die Sprungfedern zersprangen und die Füße an allen vier Ecken abbrachen; die Prinzessin schrie entsetzt auf, als sie auf dem Fußboden landete, er selbst aber, durch den eigenen Zusammenbruch jäh geweckt, befand sich wieder im kleinen Saal, und neben ihm stand der Seeleningenieur Perfidolin und verbeugte sich unterwürfig.
    »Verfluchter Pfuscher!« schrie der König. »Was erlaubst du dir? Wie kannst du es wagen? Ein Bett soll ich sein, dazu für jemand anderen als für mich? Du vergißt dich, elender Lump!«
    Perfidolin, zu Tode erschrocken über den Zorn des Königs, flehte ihn an, er möge es mit einem anderen Traum versuchen, bat vielmals um Vergebung für den Irrtum und redete solange auf den Monarchen ein, bis Voluptikus, endlich besänftigt, den Stecker nahm und sich in den Traum mit dem Titel »Seligkeit in der achtfachen Umarmung der süßen Oktopauline« einstöpselte. Er stand inmitten einer dichtgedrängten Menge von Neugierigen auf einem großen Platz, und ein prächtiger Festzug passierte sie mit wehenden Gewändern aus Samt und Seide, mechanischen Elefanten, Sänften aus Ebenholz geschnitzt; die in der Mitte funkelte wie ein Schrein aus purem Gold, und darin saß, mit acht Schleiern verhüllt, eine weibliche Gestalt von bezaubernder Schönheit, ein Engel mit strahlendem Antlitz, galaktischem Blick und Hochfrequenz-Ohrringen; der König, der vor Erregung am ganzen Leibe zitterte, wollte gerade fragen, wer denn diese himmlische Erscheinung sei, als er hörte, wie ein Raunen ehrfürchtiger Bewunderung durch die Menge ging: »Oktopauline! Oktopauline kommt!«
    Tatsächlich feierte man gerade mit höchstem Pomp und Prunk die Verlobung der Königstochter mit einem ausländischen Ritter, namens Somnophil.
    Der König war ein wenig enttäuscht, daß nicht er dieser Ritter war, und als der Festzug hinter den Toren des Palasts verschwunden war, begab er sich mit anderen aus der Menge in ein nahegelegenes Wirtshaus; dort erblickte er Somnophil, angetan mit nichts als Damaszener Pluderhosen, die mit goldenen Nägeln beschlagen waren; er hielt einen halbleeren Krug mit Iontophorese in der Hand, kam auf Voluptikus zu, legte den Arm um ihn, drückte ihn an seine Brust und flüsterte ihm mit heißem Atem ins Ohr:
    »Hör zu, ich habe heute ein Rendezvous mit Prinzessin Oktopauline, hinter dem Palast, im Hain der Stacheldrahtsträucher, nahe beim Quecksilberbrunnen, um Mitternacht, doch ich wage nicht, dort zu erscheinen, nicht in diesem Zustand, ich habe zuviel getrunken, du verstehst schon – und daher flehe ich dich an, edler Fremdling, der du mir doch aufs Haar gleichst, geh an meiner Stelle, küsse der Prinzessin die Hand und nenne dich Somnophil, und bei meiner Ehr, ich werde dir dafür ewigen Dank wissen!«
    »Warum nicht?« sagte der König nach kurzem Nachdenken. »Ich denke, das kann ich tun. Soll ich jetzt gleich gehen?«
    »Ja, sofort, wir haben keine Zeit zu verlieren, es ist fast Mitternacht, doch denke daran, der König weiß nichts davon, niemand weiß etwas, nur die Prinzessin und der alte Torhüter, und falls der dir den Weg versperrt, hier ist ein Säckchen voll Dukaten, die gibst du ihm, er wird dich anstandslos passieren lassen.«
    Der König nickte, nahm den Beutel mit den Dukaten und lief in höchster Eile zum Schloß, denn schon sprangen die gußeisernen Käuzchen aus ihren Uhrkästen und kündigten mit langgezogenem »Huh-Huh« die Mitternacht an. Er rannte über die Zugbrücke, warf einen kurzen Blick in die gähnende Tiefe des Burggrabens, bückte sich rasch, schlüpfte unter den Eisenspitzen des vom Torbogen herabhängenden Fallgatters hindurch – hetzte quer über den Hof zu den Stacheldrahtbüschen und zu dem Brunnen, der Quecksilber spie, und dort im bleichen Mondlicht erblickte er die göttliche Gestalt der Prinzessin Oktopauline, schöner als in seinen kühnsten Träumen und so bezaubernd, daß er vor Verlangen erbebte.
    Als Perfidolin den zitternden und bebenden Monarchen im Vestibül des Palastes beobachtete, lachte er schadenfroh und rieb sich die Hände, diesmal völlig sicher, daß das Schicksal des Königs besiegelt war, denn er wußte, sobald Oktopauline den unglücklichen Liebhaber mit ihren achtfachen Armen umschlungen hatte, gab es kein Entrinnen mehr. Er wußte, sie würde ihn mit ihren zärtlichen Saugarmen in die tiefsten Tiefen des Traums hinabziehen, und von dort führte kein Weg zurück an die

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