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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Lachtäubchen und Weintäubchen einander so lieb hatten« – »Traum voller Wollust und Liederlichkeit mit Röstzwiebeln« – »Mona Lisa oder das Labyrinth der süßen Unendlichkeit«. Der König ging zum zweiten Schrank und las unter der Überschrift »Traumspielchen zur Zerstreuung und Unterhaltung« – »Galgenstrick und Galgenstrickerin« – »Das scharfe Salz- und Pfefferspiel« – »Klopstock und Kritiker« – »Jungfrauenspiel, viechisch-römisch« – »Immer in die Schnauze« – »Bettdecke und Ventilator« – »Back die Kontemplätzchen« – »Noch einmal, immer in die Schnauze« – »Von Fürsten im Bett und Bürsten im Fett« – »Kopfabspiel oder eins, zwei, drei, wer hat das Beil?« – »Hol dich der Kyberkuckuck!« – »Kyborgott und Kyborgöttin« – »Eene, meene, muh, ins Glas schaust du!« – »Kybajadere« – »Kyberber und Kybernante« – »Haremsrennen«.
    Perfidolin, der Seeleningenieur, beeilte sich zu erklären, daß sich jeder Traum von ganz allein träume, sobald aber jemand den an einer Uhrkette befestigten Stecker in die beiden dazugehörigen Löcher stöpsele, schalte er sich unverzüglich in den im Schrank laufenden Traum ein, und er werde so eins mit dem Traum, daß er ihn als Realität ansehe und ihn beim besten Willen nicht mehr von der Realität unterscheiden könne. Voluptikus griff, neugierig geworden, nach der Uhrkette, schaltete sich ohne lange nachzudenken in den Weißen Schrein ein, direkt in den Traum »Frühstück mit Jungfrauen und Musik« – und fühlte plötzlich, wie auf seinem Rücken ein stachliger Kamm sproß, wie sich dort riesige Flügel entfalteten, wie sich seine Hände und Füße in Klauen mit furchtbaren Krallen verwandelten und wie sein mit sechs Reihen messerscharfer Zähne bewaffneter Rachen Feuer und Schwefel spie. Der König war höchst erstaunt und wollte sich räuspern, doch ein brüllender Donner entfuhr seiner Kehle und ließ die Erde erzittern. Das verblüffte ihn noch mehr, seine Pupillen weiteten sich, und in der Dunkelheit, erleuchtet durch seinen feurigen Atem, sah er, wie man ihm Jungfrauen in riesigen Schüsseln servierte, vier in einer jeden, garniert mit grünem Salat und so verführerisch duftend, daß ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Schon war der Tisch gedeckt, auch Salz und Pfeffer standen bereit, er fuhr mit der Zunge über seine Reißzähne, setzte sich bequem zurecht und stopfte eine Jungfrau nach der anderen ins Maul, als wären es Erdnüsse; dabei schmatzte und grunzte er vor Vergnügen, die letzte Jungfrau war so saftig und lecker, daß er mit der Zunge schnalzte, sich übers schuppige Bäuchlein strich und gerade nach einer weiteren Portion verlangen wollte, als alles vor seinen Augen zu flimmern begann, und er aufwachte. Er rieb sich die Augen – er stand am gleichen Platz wie zuvor, im kleinen Saal, der an seine Privatgemächer angrenzte.
    »Wie waren die Jungfrauen?« fragte Perfidolin.
    »Nicht schlecht. Aber wo war die Musik?«
    »Das Glockenspiel klemmte«, erklärte der Seeleningenieur. »Wünschen Königliche Hoheit vielleicht einen anderen leckeren Traum?«
    Natürlich wollte der König, doch diesmal aus einem anderen Schrank. Er ging daher zum Schwarzen Schrein und schaltete sich in den Traum mit dem Titel »Vom Ritter Flinkian und der schönen Trotteleide, Tochter des Hetärikus« ein.
    Er blinzelte – und sah, daß hier gerade das elektroromantische Zeitalter herrschte, er selbst stand in stählerne Rüstung gekleidet in einem Birkenhain, einen frischgetöteten Drachen zu seinen Füßen; das Laub raschelte, eine leichte Brise wehte, und nicht weit von ihm murmelte ein Bächlein. Er schaute ins Wasser, sah sein Spiegelbild und begriff, daß er niemand anders als Flinkian war, ein Ritter unter Hochspannung und ohne Furcht und Tadel. Die ganze Geschichte seiner ritterlichen Laufbahn war an seiner narbenübersäten Rüstung abzulesen, und er erinnerte sich an jede Einzelheit. Das Visier an seinem Helm hatte ihm Morbidor im Todeskampf mit bloßer Faust verbogen, bevor er Flinkians Behendigkeit zum Opfer fiel; die gebrochenen Scharniere an der rechten Beinschiene – sie waren das Werk des seligen Voltasar Schlagetot; und die Nieten am linken Achselstück hatte ihm Ohmagnus der Schädelspalter zertrümmert, bevor er seinen Geist aufgab; das Gitter an der Brünne hatte Monsterix Brunstantin eingedrückt, ehe er für immer niedergestreckt wurde; auch Beinharnische, Armkacheln und Muscheln, vorderer und

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