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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Müllhalde, als daß Müll auf Müll lag, doch als einmal ein Erdbeben kam, da wurde die eine Hälfte des Mülls, die sich ganz unten befand, nach oben geschleudert, und die andere Hälfte, die vorher oben war, sank bis ganz nach unten, was an und für sich keine allzu große Bedeutung hatte, jedoch den Weg für ein höchst ungewöhnliches Phänomen ebnete. Wie es der Zufall wollte, flog der Ruhmreiche Konstrukteur Trurl gerade mit seiner Vakuumfähre durch diese Gegend, als er plötzlich von einem Kometen mit grellem Schweif geblendet wurde. Er wollte sich den Kometen natürlich vom Leibe halten und warf daher hastig alles über Bord, was gerade in Reichweite lag – Schachfiguren, innen hohl, die er für die Reise heimlich mit Branntwein gefüllt hatte, ein Fäßchen mit dem Pulver, das die Lempis vom Planeten Chloreley trotz aller Bemühungen nicht erfunden hatten, sowie verschiedene Töpfe und Tiegel, darunter auch einen irdenen Krug mit einem Sprung in der Mitte. Dieser Krug, der in Übereinstimmung mit den Gravitationsgesetzen immer mehr an Geschwindigkeit gewann und durch den Kometenschweif noch beschleunigt wurde, schlug in die Gebirgskette der Müllhalde ein, sauste einen Schrottabhang hinunter bis zu einem Tümpel, bohrte sich durch den Schlamm und donnerte schließlich mitten in eine alte Konservendose; durch den Aufprall bog sich das Metall um einen Kupferdraht, wobei einige Glimmerbrocken in den Dosenrand gestoßen wurden, und schon war ein Kondensator entstanden, während der Draht, der sich um den Krug gewickelt hatte, den Beginn eines Solenoids formte, und ein Stein, durch den Krug in die Höhe geschleudert, setzte wiederum ein verrostetes Stück Eisen in Bewegung, das einmal ein Magnet gewesen war, und so wurde ein Strom erzeugt, und der Strom floß durch sechzehn andere Konservendosen und Enden von Kupferdraht, wodurch Sulfide und Chloride freigesetzt wurden, deren Atome sich mit anderen Atomen verbanden, und die so entstehenden Moleküle verquirlten sich mit anderen Molekülen, bis mitten im Zentrum der Müllhalde ein Logischer Stromkreis entstand, ihm folgten fünf weitere und noch einmal achtzehn, genau an der Stelle, wo der Krug schließlich in tausend Stücke zersprang. An diesem Abend erwachte etwas zum Leben am Rande der Müllhalde, nicht weit von dem Tümpel, der inzwischen ausgetrocknet war, und dieses Etwas, ein völlig spontan entstandenes Geschöpf, war Mamosch Eigensohn, der weder Vater noch Mutter hatte, sondern sein eigener Sohn war, denn sein Vater war der Zufall und seine Mutter – die Entropie. Und Mamosch erhob sich aus der Müllhalde und war sich der Tatsache gar nicht bewußt, daß seine Chance auf Entstehung nur bei eins zu hundert Supergigazentillionen, erhoben in die hexaptillionste Potenz, gelegen hatte; er ging seines Weges, bis er zum nächsten Tümpel kam, der noch nicht ausgetrocknet war, so daß er sein Spiegelbild mühelos erkennen konnte, als er sich über die Wasseroberfläche beugte. Und er erblickte seinen völlig akzidentiellen Kopf, mit Ohren wie mißratene Mohnstriezel, das linke schief, und das rechte voller Risse, und er sah seinen völlig akzidentiellen Rumpf, eine Mischung aus Blech, Eisenstücken und anderem Schrott, etwas faßbrüstig zugleich, weil seine Brust ein Faß war, wenngleich in der Mitte schmaler, wie eine Taille, denn als er die Müllhalde herunterrollte, hatte ihn genau an dieser Stelle ein Granitbrocken erwischt und das Blech rundum eingedrückt; und er betrachtete seine Glieder aus Müll und zählte sie, und wie es das Obwalten der Umstände wollte, waren da zwei Arme, zwei Beine und rein zufällig auch zwei Augen, und Mamosch Eigensohn geriet in hellstes Entzücken über sich selbst, er konnte seine schmale Taille gar nicht genug bewundern, war ausnehmend froh über die symmetrische Anordnung seiner Arme und Beine sowie über die herrliche Rundung seines Kopfes. Und daher schrie er aus voller Kehle:
    »Wahrlich, ich bin schön, ja sogar vollkommen, was in aller Klarheit die Vollkommenheit jeglicher Schöpfung impliziert!! Oh, und wie großartig muß erst der sein, der mich geschaffen hat!«
    Und er humpelte vorwärts – wobei er eine lose Schraube nach der anderen verlor, denn es hatte sie ja niemand ordentlich festgezogen – und summte ein Loblied auf die Prästabilierte Harmonie vor sich hin, doch nach dem siebten Schritt stolperte er aus Unachtsamkeit und fiel der Länge nach hin, wieder zurück in den Müll, und in den nächsten

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