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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Gerichtsverfahren, Fan-Post und anonyme Drohungen. Doch wieder nichts, absolut nichts. Es war einfach nicht zu glauben. Da dachte ich mir, womöglich hätte ich nicht genug von anderen Denkern gelesen; ich besorgte mir ihre Werke und machte mich der Reihe nach mit den berühmtesten unter ihnen vertraut – und so las ich also Frenetius Perlesius, Buffon von Schneck, Begründer der Schneck-Schule, Turbulon Kratafalk, Sphärikus von Logara, und natürlich auch Lemuel den Kahlen.
    Doch in all diesen Werken entdeckte ich nichts von Bedeutung. Inzwischen verkauften sich meine Bücher, ich nahm daher an, daß jemand sie las, und wenn dem so wäre, würden die Resultate nicht auf sich warten lassen. Insbesondere hegte ich keinen Zweifel daran, daß mich der Tyrann zu sich rufen und verlangen würde, ich sollte seine Person in den Mittelpunkt meines Schaffens stellen und seinem Namen zu unsterblichen Ruhm verhelfen. Ich malte mir genau aus, wie ich ihm antworte, daß ich der Wahrheit allein diene und für sie, falls notwendig, auch mein Leben lassen würde; der Tyrann, lechzend nach Lobpreisungen, wie sie nur mein brillanter Geist zu formulieren vermochte, würde sodann versuchen, mich mit honigsüßen Schmeicheleien wankelmütig zu machen und mir sogar ganze Säcke klingender Münzen zu Füßen legen lassen, doch angesichts meiner Unbeugsamkeit würde er beeinflußt durch seine Hofsophisten sagen, da ich mich nun einmal mit dem Universum befaßte, sei es ebenso meine Pflicht, mich mit ihm zu befassen, denn letztlich verkörpere auch er einen bestimmten Teil des kosmischen Ganzen. Daraufhin würde ich ihn mit Hohn und Spott überschütten, er aber würde mich schlimmsten Torturen ausliefern. Und so stählte ich meinen Körper bereits, damit er selbst schrecklichsten Folterungen widerstehen könnte. Doch Tage und Monate vergingen, und nichts, kein Wort vom Tyrannen – vergeblich hatte ich mich aufs Martyrium vorbereitet. Lediglich ein gewisser Schreiberling namens Würgobald schrieb in einem üblen Revolverblatt, der Hofnarr Chlorian verzapfe allerlei dummes Zeug sowie haarsträubenden Unsinn, und zwar in einem Buch mit dem drolligen Titel »Das Theotron oder Pissen ist Macht«.
    Ich stürzte an mein Bücherregal – tatsächlich, kein Zweifel möglich, der Drucker hatte aus irgendeinem Grunde ein P anstelle des W in den Titel gesetzt … Mein erster Impuls war, ihn auf der Stelle umzubringen, doch dann siegte die Vernunft. »Meine Zeit wird kommen!« sprach ich zu mir. »Es kann doch nicht sein, daß da jemand mit ewigen Wahrheiten nur so um sich wirft, so daß das reichlich gespeiste Licht der ultimativen Erkenntnis hell auflodert – und nichts! Ruhm und Ehren werden kommen, ein Thron von Elfenbein, der Titel des Ersten Philosophioten bei Hofe, die Liebe der Völker, süße Erquickung in der Stille eines schattigen Obstgartens, meine eigene, die Chlorianische Schule, mit Jüngern, die an meinen Lippen hängen, eine jubelnde Menge! Denn wahrlich, Fremdling, gerade solche Träume sind es, die jeder der Weisen hegt. Sie erzählen dir zwar, Erkenntnis sei ihre einzige Speise und die Wahrheit ihr einziger Trank, und es gelüste sie weder nach irdischen Gütern noch nach der heißen Umarmung der Thermätressen, nicht nach dem Glanz des Goldes und funkelnden Ordenssternen, nicht nach Ruhm und nicht nach Beifall. Märchen, nichts als Ammenmärchen, Euer Fremd- und Wohlgeboren! Sie alle lechzen danach, der einzige Unterschied zwischen ihnen und mir besteht darin, daß ich wenigstens die geistige Größe besitze, mich zu solchen Schwächen zu bekennen, offen und ohne Scham. Doch die Jahre vergingen, und von mir sprach niemand anders als von Chlorian dem Narren oder dem armen alten Chlori. Als der vierzigste Jahrestag meiner Geburt gekommen war, konnte ich es kaum fassen, daß ich noch immer auf das Echo der Massen warten mußte, doch es kam auch jetzt nicht. Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch und schrieb mein Werk über die MASTEN, welche das Volk sind, das die MAximale STufe der ENtwicklung im ganzen Kosmos erreicht hat. Wie, du hast nie von ihnen gehört? Ich auch nicht, ich habe sie auch nie gesehen und erwarte nicht, daß es mir noch gelingt; ihre Existenz aber habe ich auf rein deduktiver Grundlage nachgewiesen, logisch, zwingend, theoretisch. Denn wenn das Universum – so war meine Argumentation – Zivilisationen auf unterschiedlicher Entwicklungsstufe enthält, so müssen die meisten ein durchschnittliches Niveau

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