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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Trurl. Er zog ein kleines Döschen aus der Brusttasche und öffnete es. Darin lagen zwei weiße Pillen auf Samt. »Nimm eine, die andere bleibt bei mir«, sagte er. »Jeden Abend überprüfst du deine Pille; wenn sie sich rötlich färbt, bedeutet das, daß ich das Verfahren angewandt habe. Dann tust du das gleiche.«
    »Abgemacht«, sagte Klapauzius und steckte die Pille ein, worauf sie landeten, sich umarmten und in entgegengesetzte Richtungen loszogen.
     
    Den Staat, den Trurl antraf, regierte König Unheur; ein Militarist seit Urväterzeiten, dabei ein wahrhaft kosmischer Geizhals. Um den Fiskus zu entlasten, schaffte er alle Strafen ab bis auf die wichtigste. Seine Lieblingsbeschäftigung war der Abbau überflüssiger Ämter. Seit er aber das Amt des Henkers liquidiert hatte, mußte jeder Verurteilte sich selbst köpfen, nur selten durfte einer das Urteil, bei besonderer königlicher Gnade, mit Hilfe der nächsten Verwandten vollstrecken. Von den Künsten förderte der König diejenigen, die nichts kosteten, wie Chorrezitationen, Schachspiel und militärische Leibesübungen. Die Kriegskunst schätzte er vor allem, weil ein gewonnener Krieg bedeutende Einkünfte bringt; da man andererseits den Krieg nur in Friedenszeiten gründlich vorbereiten kann, trat der König sogar für den Frieden ein, wenn auch mit Maßen. Die größte Reform von Unheur war die Verstaatlichung des Hochverrats. Das Nachbarland sandte ihm Spione in sein Reich; also richtete der Monarch das Amt des Königlichen Bestechers respektive Bestechlings ein, der mit Hilfe der ihm untergebenen Beamten gegen fette Bezahlung den feindlichen Agenten Staatsgeheimnisse preisgab; diese Agenten kauften vorzugsweise veraltete Geheimnisse ein, die billiger waren, weil sie ihre Ausgaben vor dem eigenen Fiskus zu verantworten hatten.
    Die Untertanen Unheurs standen früh auf, gingen bescheiden gekleidet und legten sich spät schlafen, weil sie viel arbeiten mußten. Sie flochten Reisigmatten für die Schützengräben und produzierten Waffen und Denunziationen. Damit der Staat vom Überfluß der letzteren nicht zerplatzte – zu einer derartigen Krise war es zur Zeit Sehrlims des Hundertäugigen vor vielhundert Jahren gekommen –, mußte derjenige, der zu viele Anzeigen machte, eine Luxussteuer zahlen. Folglich hielten sich die Denunziationen in vernünftigen Grenzen.
    Trurl, nachdem er den Hof Unheurs erreicht hatte, bot diesem seine Dienste an, aber der König, wie man leicht hätte voraussehen können, verlangte nach mächtigen Waffen. Trurl bat um drei Tage Bedenkzeit, und als er in das für ihn bestimmte bescheidene Quartier kam, sah er nach der Pille in dem goldenen Döschen. Sie war weiß, doch als er sie länger betrachtete, färbte sie sich rötlich. ›Oho‹, sagte er bei sich, ›nun muß ich auf Gargancjanus zurückgreifen!‹ Sogleich setzte er sich hin und begann, geheime Berechnungen anzustellen.
    Klapauzius weilte währenddessen im anderen Staat, den der mächtige König Mägerlein regierte. Dort sah alles anders aus als in der Unheurei. Auch dieser Monarch lechzte nach Feldzügen, gab Geld für die Aufrüstung aus. Aber er tat es auf eine vernünftige Art, denn er war in seiner Freigebigkeit maßlos und sein Sinn für Kunst kannte nicht seinesgleichen. Dieser König war vernarrt in Uniformen und goldene Schnüre, in Biesen und Quasten, in Achselstücke, Portieren mit Glöckchen, in Panzerschiffe und Lametta. Außerdem war er sehr sensibel: Sooft er ein neues Panzerschiff vom Stapel ließ, zitterte er vor Erregung. Großzügig verschwendete er die Staatsgelder für bataillistische Malerei, dabei aus patriotischen Gründen die Zahl der gefallenen Feinde honorierend, weshalb auf den Schlachtenbildern, über die das Königreich in Unmengen verfügte, Berge von feindlichen Leichen sich bis zum Himmel türmten. Im täglichen Leben verband er Absolutismus mit Aufklärung und Strenge mit Großmut. An jedem Jahrestag seiner Thronbesteigung führte er Reformen durch. So ließ er einmal alle Guillotinen mit Blumen schmücken, ein andermal einfetten, damit sie nicht quietschten, dann wieder ließ er die Henkersbeile vergolden, ohne dabei zu vergessen, sie aus humanitären Rücksichten schärfen zu lassen. Er war großherzig, aber Verschwendung mochte er gar nicht, weshalb er durch einen Sondererlaß alle Pfähle, Klötze, Schrauben, Ketten und Fesseln zu normieren befahl. Die – übrigens seltenen – Hinrichtungen von Ungläubigen fanden pompös und

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