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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Formationen. Somit wäre den Extravaganzen und Eigenwilligkeiten des einzelnen ein Ende gesetzt, man wäre nicht mehr von der zufälligen Begabung der Truppenführer abhängig, von ihrer gegenseitigen Mißgunst, ihrer Eifersucht und ihren Konflikten; die einmal aneinandergeschlossenen Abteilungen sollte man nicht mehr trennen, denn dies hätte nichts außer Wirrwarr zur Folge. »Eine Armee ohne Führer, sich selbst Führer – das ist meine Idee!« beendete Klapauzius seinen Vortrag, der auf den König einen starken Eindruck machte.
    »Geh Er in sein Quartier«, sagte am Ende der Monarch, »und ich werde mich mit meinem Generalstab beraten …«
    »Oh, tun Sie das nicht, Majestät!« rief der schlaue Klapauzius und tat, als wäre er verlegen. »Das eben hat der Kaiser Turbuleo getan; sein Stab verwarf das Projekt, um die eigenen Posten nicht zu verlieren, danach überfiel Turbuleos Nachbar, der König Emalius, mit seiner reorganisierten Armee das Kaiserreich und legte es in Schutt und Asche, obwohl er achtmal schwächer war!«
    Nach diesen Worten ging er in das ihm zugewiesene Appartement und sah nach der Pille. Sie war dunkelrot wie rote Bete. Daraus folgerte er, daß Trurl bei König Unheur im gleichen Sinne handelte. Es dauerte nicht lange, da befahl ihm der König, einen Infanteriezug zu gargancjanisieren; sogleich wurde die kleine Kampfgruppe im Geiste eine Einheit und schrie:
    »Vorwärts, Horde, lauf und morde!« Sie rollte den Hügel hinunter, stürzte sich auf drei Schwadrone königlicher Kürassiere, die, bis an die Zähne bewaffnet, von sechs Ausbildern der Akademie des Generalstabs angeführt wurden, und rieb sie restlos auf. Das betrübte alle großen Feldmarschälle, Generäle und Admiräle sehr. Der König ließ sie sofort pensionieren. Er befahl Klapauzius, ganz von seiner umstürzlerischen Erfindung überzeugt, die gesamte Armee zu gargancjanisieren.
    Die Büchsenmacher- und Elektrobetriebe fingen nun an, Tag und Nacht waggonweise Steckdosen herzustellen, die man überall in den Kasernen vorschriftsmäßig anbrachte. Klapauzius machte Inspektionsreisen von Garnison zu Garnison, nachdem er vom König eine ganze Menge Orden bekommen hatte; Trurl, der im Unheurschen Staate ähnlich betriebsam war, mußte sich, wegen der bekannten Sparsamkeit seines Monarchen, mit dem Titel ›Großer Vaterlandsverräter‹ begnügen. Beide Staaten rüsteten also eifrig zum Krieg. In der Hitze der Mobilmachung stellte man sowohl konventionelle als auch Kernwaffen bereit, putzte vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Nacht Kanonen und Atombomben, damit sie vorschriftsmäßig blitzten und blinkten. Die Konstrukteure, die eigentlich nichts mehr zu tun hatten, machten sich hurtig ans Kofferpacken, um sich, wenn die Zeit gekommen wäre, an der verabredeten Stelle – am Raumschiff, das im Wald bereitstand – zu treffen.
    Inzwischen gingen in den Kasernen, vor allem der Infanterie, seltsame Dinge vor. Die Kompanien mußten nicht mehr gedrillt werden oder abzählen, um ihre Kampfstärke zu ermitteln, ebensowenig wie einer, der zwei Beine hat, das linke mit dem rechten verwechselt oder abzählen muß, um festzustellen, daß er nur einmal vorhanden ist. Es war eine Freude zuzusehen, wie solche neuen Abteilungen marschierten, wie sie »Links um!« und »Stillgestanden!« exerzierten; nach den Übungen allerdings bewarfen sich die Kompanien gegenseitig mit gelehrten Redensarten, durch die offenen Fenster der Kasernenbaracken donnerte es nur so um die Wette von Begriffen wie kohärente Wahrheit, analytische und synthetische Gerichte a priori oder das Sein als solches, denn so weit war die Massenvernunft bereits gekommen. Man hatte auch philosophische Grundlagen erarbeitet, bis schließlich ein Bataillon den kompletten Solipsismus erreichte und verkündete, es gebe nichts Wirkliches außer ihm selbst. Weil sich daraus ergab, daß es weder den Monarchen noch den Feind gebe, mußte dieses Bataillon in aller Stille auseinandergeschaltet und anderen Abteilungen, die den Standpunkt des epistemologischen Realismus vertraten, angeschlossen werden. Angeblich ging zur gleichen Zeit im Staate Unheurs die sechste Partisanendivision von den profanen Ladeübungen zu mythischen Exerzitien über und ertrank während der Kontemplation beinah im Bach; es ist ungewiß, wie es in Wirklichkeit dazu kam, kurz und gut, genau in jenem Augenblick wurde der Krieg erklärt, und die eisenklirrenden Regimenter rückten von beiden Seiten auf die Staatsgrenze

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