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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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minderentwickeltes Wesen?‹
    ›Entweder bist du ein kompletter Idiot oder ein Ungeheuer!‹ knurrte Klapauzius, während ich einer Ohnmacht nahe war. ›Wie kannst du es wagen, dich mit solchen Schandtaten m brüsten?‹
    ›Ich brüste mich nicht mit ihnen, ich beichte sie dir‹, erwiderte die Stimme gleichmütig. ›Glaub mir, wir haben wirklich alle denkbaren Methoden ausprobiert. Auf verschiedenen Planeten ließen wir einen Regen von Reichtum, ja ganze Fluten von Wohlstand und Überfluß niedergehen, das Resultat war die totale Lähmung jeglicher Initiative und Arbeitsfreude; wir gaben auch gute Ratschläge, zum Dank dafür eröffneten die Eingeborenen das Feuer auf unsere Roteller, d. h. fliegenden Untertassen. Wahrlich, es hat ganz den Anschein, als müsse man zunächst den Charakter derer ändern, die man glücklich zu machen wünscht …‹
    ›Dazu seid ihr am Ende auch noch in der Lage!‹ brummte Klapauzius mißvergnügt.
    ›Aber ja, gewiß doch! Nimm zum Beispiel unsere Nachbarn, die einen quasiterranen, d. h. geomorphen Planeten bewohnen. Ich meine die Anthropoden. Heute befassen sie sich in erster Linie mit transzendentalen Windbeuteleien und Metapherrenkungen, denn sie schweben in panischer Furcht vor der Ehrwürdigen Flatomatrone, die ihrer Meinung nach im Jenseits auf alle Sünder mit weit aufgerissenem, Höllenfeuer speienden Rachen lauert. Da ein junger Anthropode den Seligen Zimbellianern sowie dem Heiligen Brechbuddhian getreulich nacheifert und den Fastidianern aus Scheußlichtenstein wohlweislich aus dem Wege geht, wird er mit der Zeit fleißiger, tugendhafter und edler, als es seine achtarmigen Vorfahren waren. Zwar stehen die Anthropoden in einem ständigen Glaubenskrieg mit den Anthropannen – hervorgerufen durch die brennende Frage, ob der Zwang den Drang auslöse oder umgekehrt der Drang den Zwang – du mußt jedoch bedenken, daß bei diesen Kämpfen in aller Regel nur die Hälfte einer jeden Generation zugrundegeht. Nun verlangst du von mir, daß ich ihnen den Glauben an Transzendentale Windbeuteleien, an die Ehrwürdige Flatomatrone und all den übrigen Unsinn einfach aus dem Kopf schlage, um sie damit einer rationalen Beglückung zugänglich zu machen. Das aber wäre gleichbedeutend mit psychischem Mord, denn die Wesen, die dabei herauskämen, wären ja keine Anthropoden oder Anthropannen mehr. Siehst du das ein?‹
    ›Ja schon, doch der Aberglaube muß dem Wissen weichen!‹
    ›Das steht außer Frage! Doch bedenke bitte, daß es auf dem Planeten derzeit fast sieben Millionen Büßer gibt, die nicht selten ihr ganzes Leben damit verbracht haben, ihre eigene Natur zu vergewaltigen, nur um ihre Nächsten vor der Schrecklichen Flatomatrone zu bewahren. Und ich soll ihnen in weniger als einer Sekunde erklären, soll sie davon überzeugen, ohne bei ihnen auch nur den Schatten eines Zweifels zurückzulassen, daß all das umsonst war, daß sie ihr ganzes Leben mit völlig nutz- und inhaltlosen Opfern vergeudet haben? Wäre das nicht grausam? Der Aberglaube muß dem Wissen weichen, das aber braucht seine Zeit. Denk an den Buckligen, über den wir gesprochen haben. Er lebt in dunkler, wohltätiger Unwissenheit, weil er glaubt, daß sein Buckel im Werk der Schöpfung eine kosmische Rolle erfüllt. Wenn du ihm erklärst, daß er lediglich das Resultat eines molekularen Unfalls ist, so wirst du ihn in Verzweiflung stürzen. Also müßtest du den Buckel sogleich begradigen …‹
    ›Ja, natürlich!‹ rief Klapauzius aus.
    ›Auch das haben wir gemacht. Mein Großvater hat seinerzeit dreihundert Buckel auf einmal begradigt. Und wie sehr hat er es später bereut!‹
    ›Weshalb?‹ fragte ich unwillkürlich.
    ›Weshalb? Einhundertzwölf von diesen Unglücklichen wurden sogleich in Öl gesotten, denn man sah ihre plötzliche und wundersame Heilung als sicheres Indiz dafür an, daß sie ihre Seele dem Teufel verkauft hatten; dreißig wurden, da nicht länger untauglich, sofort zum Militär eingezogen und fielen in verschiedenen Schlachten unter verschiedenen Fahnen; siebzehn soffen sich vor Freude über ihre Genesung augenblicklich zu Tode, und der Rest – mein wohlmeinender Großvater hatte ihnen als Draufgabe außerordentliche Schönheit verliehen – welkte durch übermäßige Anstrengung bei erotischen Aktivitäten rasch dahin; nachdem sie diese Vergnügungen so lange Zeit hatten entbehren müssen, stürzten sie sich jetzt in jede Art von Ausschweifungen, leider derart heftig und

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