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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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zu wünschen. Wenn jemand Schmerzen leidet, so werden ihm sogleich alle zur Hilfe eilen, um sich selbst vom dadurch induzierten Schmerz zu befreien. Weder Mauern, Zäune, Hecken noch andere Hindernisse können die altruisierende Wirkung aufhalten. Das Präparat ist wasserlöslich; es kann über Wasserleitungen, Flüsse, Brunnen etc. verteilt werden. Geschmack- und geruchlos; ein Millimikrogramm ist ausreichend für einhunderttausend Individuen. Für Folgen, die nicht im Sinne des Erfinders sind, kann keine Haftung übernommen werden. Für den computerisierten Repräsentanten der Max. Stu. d. Entw. – der Ultimator-Omnigenerator.
     
    Klapauzius brummte mißmutig, Altruizin werde ausschließlich bei Menschen zur Anwendung kommen, während die armen Roboter wie eh und je all ihr vom Schicksal zugemessenes Unglück tragen müßten. Ich aber faßte mir ein Herz und wies ihn mit der Bemerkung zurecht, er habe wohl noch nie etwas von der Solidarität aller denkenden Wesen und der Notwendigkeit gehört, unseren organischen Brüdern zu helfen. Sodann kamen wir auf praktische Dinge zu sprechen, denn wir waren uns darüber einig, daß die Aktion zur Schaffung des Glücks keinen Aufschub duldete. Während Klapauzius eine Unterabteilung des ONALCO damit beauftragte, das Präparat in der benötigten Menge herzustellen, faßte ich nach eingehender Beratung mit dem berühmten Konstrukteur den Entschluß, meine Mission auf einem geomorphen, von menschenähnlichen Wesen bewohnten Planeten zu beginnen, der nur knapp vier Tagesreisen entfernt war. Als Wohltäter wollte ich anonym bleiben, daher erschien es uns am zweckmäßigsten, mich in einen Menschen zu verwandeln. Das ist bekanntlich keine leichte Aufgabe, aber der Genius des Konstrukteurs überwand auch in diesem Fall sämtliche Hindernisse, und bald stand ich reisefertig da, mit einem Koffer in jeder Hand. Der eine Koffer enthielt vierzig Kilogramm Altruizin in Form von weißem Pulver, der andere war vollgestopft mit diversen Toilettenartikeln, Schlafanzügen, Unterwäsche und wichtigen Ersatzteilen wie Reserve-Nasen, Augen, Ohren, Haaren, Wangen etc. Ich reiste in Gestalt eines wohlproportionierten jungen Mannes mit Schnurrbart und Schmalzlocke. Klapauzius hegte gewisse Zweifel, ob es ratsam sei, Altruizin gleich in großem Maßstab anzuwenden, und obwohl ich seine Vorbehalte nicht teilte, war ich einverstanden, nach meiner Ankunft auf Terrania (so hieß der geomorphe Planet) zunächst ein Probeexperiment durchzuführen. Da ich dem Augenblick entgegenfieberte, da ich mit der großen Aussat von Brüderlichkeit und Solidarität beginnen konnte, verabschiedete ich mich ebenso herzlich wie hastig von Klapauzius und machte mich unverzüglich auf den Weg.
    Um den ersten Test durchzuführen, begab ich mich gleich nach meiner Ankunft zu einem kleinen Weiler, wo ich mich ins Gasthaus einquartierte, das einem mürrischen Greis gehörte. Als man mein Gepäck von der Kutsche in die Gaststube trug, gelang es mir, unbemerkt eine Handvoll des weißen Pulvers in den nahegelegenen Brunnen zu schütten. Auf dem Hof herrschte hektische Betriebsamkeit, Mägde rannten mit Bottichen voll kochendem Wasser hin und her, der Wirt trieb sie fluchend zur Eile an; dann hörte man Hufgetrappel, eine Kalesche rollte in den Hof, und heraus sprang ein alter Mann mit einem Arztköfferchen in der Hand – sein Ziel war jedoch nicht das Haus, sondern der Stall, aus dem von Zeit zu Zeit ein dumpfes Brüllen erscholl. Wie ich vom Zimmermädchen erfuhr, war ein terranisches Tier, das dem Wirt gehörte – eine sogenannte Kuh – gerade dabei, zu gebären. Diese Neuigkeit beunruhigte mich ein wenig, denn ehrlich gesagt war mir niemals in den Sinn gekommen, auch die animalische Seite des Problems zu bedenken. Jetzt aber konnte ich nichts mehr tun, also schloß ich mich ein und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Und die ließen tatsächlich nicht lange auf sich warten. Ich hörte das Rasseln der Brunnenkette – die Mägde holten schon wieder Wasser – und nach einer Weile das Brüllen der Kuh, diesmal von einem vielstimmigen Echo begleitet. Gleich darauf stürzte der Tierarzt aus dem Stall, preßte die Hände vor den Bauch und schrie vor Schmerzen, hinter ihm rannten die Küchenmägde, zum Schluß der Wirt. Da alle an den Geburtswehen der Kuh teilhatten, flohen sie unter großem Geschrei in alle vier Himmelsrichtungen, um bald wieder zurückzukehren, da die Schmerzen in einer bestimmten Entfernung schlagartig

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