Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.
Bürgersteigen stolperte man auf Schritt und Tritt über Lyrik und Prosa, denn schon längst las niemand mehr Gedichte oder Romane eines anderen, niemand begeisterte sich für fremde Kompositionen – und warum sollte er, war er nicht selbst ein Meister aller Musen, die strahlende Inkarnation eines allseitig begabten Genies? Hinter manchen Fenstern klapperten noch vereinzelt Schreibmaschinen, klecksten Pinsel und kratzten Federn übers Papier, immer häufiger jedoch geschah es, daß sich irgendein Genie, verzweifelt über den völligen Mangel an Anerkennung, aus den höhergelegenen Stockwerken auf die Straße stürzte, nachdem es zuvor seine Werkstatt in Brand gesetzt hatte. In allen Stadtteilen kamen Sirenen und Alarmwecker nicht mehr zur Ruhe, und obwohl die Roboter-Feuerwehr einen Brand nach dem anderen löschte, war bald niemand mehr da, um die vor den Flammen geretteten Häuser zu bewohnen. Die Roboter der städtischen Kanalisation, Straßenreinigung, Feuerwehr und anderer Sparten des öffentlichen Dienstes machten sich Schritt für Schritt mit den Errungenschaften der untergegangenen Zivilisation bekannt und bewunderten sie über alle Maßen; da ihnen jedoch die großen Zusammenhänge verborgen blieben, strebten sie in der Autoevolution nach allmählicher Erhöhung ihres Intelligenzquotienten, um sich dem erhabenen geistigen Niveau ihrer Umwelt besser anzupassen. Das war der Anfang vom Ende, denn niemand reinigte, kanalisierte, fegte oder löschte mehr irgend etwas, statt dessen gab es nur noch ein einziges Deklamieren, Rezitieren, Musizieren und Inszenieren; die Kanalisation war hoffnungslos verstopft, die Müllhalden wuchsen ins Unermeßliche und zahllose Brände sorgten für den Rest; nur noch Fetzen rußgeschwärzter Manuskripte und halbverkohlter Gedichte flatterten über den ausgestorbenen Ruinen umher. Trurl konnte diesen schrecklichen Anblick nicht länger ertragen und versteckte das Präparat eilends im dunkelsten Winkel der Schublade; wieder und wieder schüttelte er den Kopf in tiefer Ratlosigkeit, er wußte einfach nicht, wie es weitergehen sollte. Aus diesen trüben Gedanken riß ihn erst ein lauter Schrei auf der Straße: – Feuer! – es war seine eigene Bibliothek, die da brannte: Einige Zivilisationen, die er in seiner Zerstreutheit zwischen ein paar Büchern vergessen hatte, waren von ganz gewöhnlichem Schimmel befallen worden, mißdeuteten den Vorgang jedoch als Invasion aggressiver Eroberer aus dem Kosmos und machten sich unverzüglich daran, die Eindringlinge mit der Waffe in der Hand zu bekämpfen, und so war das Feuer entstanden. Fast dreitausend von Trurls Büchern waren verbrannt und doppelt soviel Zivilisationen in Rauch und Flammen aufgegangen. Darunter einige, die nach Trurls sorgfältigsten Berechnungen noch die besten Chancen gehabt hatten, den Weg zum Universellen Glück zu finden. Nachdem der Brand gelöscht war, hockte Trurl einsam auf einem harten Schemel in der wasserüberfluteten, bis zur Decke rußgeschwärzten Werkstatt und suchte Trost in der Betrachtung all der Zivilisationen, die die Katastrophe im hermetisch abgeschlossenen Inkubator überlebt hatten. In einer von ihnen hatten es die Bewohner auf naturwissenschaftlichem Gebiet so weit gebracht, daß sie Trurl durch astronomische Teleskope beobachteten, deren auf ihn gerichtete Linsen wie winzig kleine Tautröpfchen funkelten. Gerührt über soviel wissenschaftlichen Eifer nickte er und lächelte ihnen wohlwollend zu, doch noch im gleichen Moment fuhr er mit einem gellenden Schmerzensschrei in die Höhe, griff nach seinem Auge und rannte, so schnell er konnte, in die nächste Apotheke. Die kleinen Astrophysiker dieser Zivilisation hatten ihn mit einem Laserstrahl getroffen. Von nun an näherte er sich dem Mikroskop nie mehr ohne Sonnenbrille.
Die beträchtlichen Lücken, die der Brand in den Reihen der Präparate hinterlassen hatte, mußten geschlossen werden, also machte sich Trurl erneut an die Arbeit und fabrizierte weitere Ängströmianer. Eines Tages zitterte ihm die Hand, als er den Mikromanipulator bediente, und er stellte fest, daß ihm eine Fehlschaltung unterlaufen war. Statt des üblichen Strebens nach dem Guten hatte er sämtliche Triebkräfte des Bösen mobilisiert. Nach kurzem Überlegen warf er das verdorbene Präparat nicht weg, sondern schob es in den Inkubator, denn ihn plagte die Neugier, welch monströse Züge eine Zivilisation annehmen würde, deren Angehörige von Geburt an verderbt bis ins Mark
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