L wie Love
Beine waren ebenfalls während des Sommers gewachsen.
Als ich vor der Badezimmertür ankam, hörte ich gerade noch, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Mist! Jetzt blieb mir nicht genug Zeit, mich in aller Ruhe fertig zu machen. Ausgerechnet am ersten Schultag, der besonders viel Vorbereitung erforderte.
Ich stand wütend im Flur. Da bemerkte ich, dass Sophias Zimmertür einen Spalt offen stand. Meine Schwester war schon zur Arbeit gegangen. Sie war in einer Versicherungsfirma angestellt. Vielleicht fand ich in ihrem Schminkzeug etwas zum Kaschieren von Pickeln.
Ich schlich auf Zehenspitzen, die Arme an den Körper gepresst, in ihre heiligen vier Wände. Ich durfte keine Spuren hinterlassen. Sophia besitzt die erstaunliche Fähigkeit, sofort zu merken, wenn jemand unerlaubt ihr Reich betreten hat. Vorsichtig und ohne etwas zu berühren, musterte ich ihren Schreibtisch und
Hurra!
Ich fand genau das, wonach ich gesucht hatte – eine Tube Abdeckcreme. Ich steckte sie in die Tasche meiner Jeans und schlich wieder hinaus. Die Tür ließich haargenau so weit offen stehen, wie ich sie vorgefunden hatte. Sophia konnte unmöglich etwas merken.
Zurück in meinem Zimmer sah ich schnell die Klamotten durch, die ich auf meinem Stuhl bereitgelegt hatte. Biff und ich hatten uns den gesamten August darüber Gedanken gemacht, wie unser Styling am ersten Schultag aussehen sollte. Genauer gesagt, ich hatte mir den Kopf darüber zerbrochen und Biff hatte mich beraten. Sie ist eben meine beste Freundin.
Wir hatten Zeitschriften gewälzt, Modesendungen geguckt, jede Menge Klamottenläden durchforstet. Ich hatte Listen geschrieben (Listen sind meine Spezialität), in welchen Läden die besten Tops und in welchen die besten Hosen zu finden waren. Dann hatten wir alles in den Computer eingegeben und miteinander verlinkt, bevor wir entschieden hatten, welche Jeans am besten zu welchem Top passte. Anschließend waren wir einkaufen gegangen.
Alles hatte prima geklappt, nur dass ich mein Outfit jetzt schrecklich fand. Total daneben!
Ein Pickel und die falschen Klamotten. Schlimmer konnte es kaum noch werden.
Ich riss sämtliche Schubladen auf und warf ein Shirt nach dem anderen auf mein Bett. Wenn ich nicht die perfekte Kombination fand, würde ich am ersten Schultag auf die Stufe der Sub-Normalos absinken!
Das Schulklassensystem
Okay. Jetzt kommt eine wahnsinnig wichtige Information, ohne die sich ein Mädchen ihre Schulzeit und letztlich ihr ganzes Leben vermasseln kann. Die Teenagergesellschaft ist in drei Klassen eingeteilt.
Normalos (N)
Das sind normale Jugendliche – so wie ich. Wir bemühen uns, nicht aufzufallen, sprechen leise und lachen an der richtigen Stelle. Nur kein herzhaftes, dröhnendes Lachen, das die Aufmerksamkeit der anderen auf sich ziehen könnte. Wir tragen neutrale Klamotten, die mit den Farben der Schule harmonieren (Jeansblau, Khaki, Beige). Und wir überlassen die besten Plätze im hinteren Teil des Klassenzimmers den Über-Normalos.
Über-Normalos (ÜN)
Die Über-Normalos sind eine privilegierte Gruppe. Die Mädchen haben weiße Zähne, glänzendes Haar und einen Freund! Sie haben einen eigenen Tisch in der Cafeteria und immer – absolut immer – das richtige Outfit. Das mit den Klamotten ist mir ein Rätsel. Wieso kennen sie die Modetrends, bevor alle anderen davon erfahren? Die ÜN-Jungs sind süß. Alles dreht sich bei ihnen um Sport, Sport und noch mal Sport. Und sie sitzen ständig mit den ÜN-Mädchen zusammen. Die meisten besitzen ein Auto und fast alle haben eine Freundin.
Sub-Normalos (SN)
In diese Gruppe abzurutschen, ist für mich die größte Horrorvorstellung. Die ÜNs müssen sich keine Sorgen machen, weil die SNs zwei Stufen unter ihnen stehen. So tief können ÜNs gar nicht sinken, außer sie würden etwas ganz außergewöhnlich Bescheuertes tun. Dagegen kann ein N ziemlich schnell zum SN werden: Da genügt schon ein riesiger Pickel auf der Stirn. Oder die falschen Klamotten! Typische Merkmale für SNs sind Hängeschultern, immer an der Wand zu kleben und jedes Mal, wenn ein ÜN vorbeikommt, zusammenzuzucken.
Ich weiß, eigentlich müsste ich gegen dieses ungerechte Schulklassensystem protestieren, blablabla. Aber was soll’s, habe ich etwa diese Regeln erfunden?
Und jetzt kommt das Merkwürdigste: Biff ist gar nichts. Sie spricht mit den ÜNs, den Ns und den SNs. Sie ignoriert das Klassensystem und das bringt alle von der Rolle. Sie ist eine Aberration (kompliziertes
Weitere Kostenlose Bücher