Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
während er Meter um Meter zurücklegte. Einer ihrer Jäger, seiner Feinde. Wie hatte Mary sie einmal genannt, Seelentrinker? Nein, die Verfolger aus der Steppe waren ihnen nicht in die letzte Welt gefolgt, warum sollten sie plötzlich hier in dieser seltsamen Umgebung erscheinen?
Es musste jemand aus der Gruppe sein. León hoffte, dass es jemand aus der Gruppe war.
Es kam ihm so vor, als ob er schon hundert Meter und mehr zurückgelegt hatte, aber dem Schatten kam er nicht näher. Er warf einen Blick über die Schulter, um festzustellen, ob er überhaupt vorwärtskam. Doch er wusste nicht mehr, von wo aus er losgelaufen war. Er versuchte, Einzelheiten vor sich auszumachen, aber das Bild zitterte durch seine Bewegungen und wurde einfach nicht deutlich. Sein Atem kam inzwischen stoßweise und sein Puls raste vor Anstrengung. Schweiß lief ihm in die Augen und machte es noch schwieriger, etwas zu erkennen.
Aber dann …
… bewegte sich die Gestalt.
León brüllte, so laut er konnte, und der Schatten wandte sich um, schien ihm entgegenzusehen.
Diese verhuschte Art, diese sanfte Bewegung … das ist Mary. Es muss Mary sein.
Er rief ihren Namen, da ertönte erneut der seltsam klagende Laut, der das Verschwinden der Wände angekündigt hatte.
León ahnte, was das zu bedeuten hatte. Er rannte schneller. Wo würden die Wände diesmal entstehen? Wände ohne Fenster und Türen: sein Gefängnis. Aber er konnte nichts dagegen tun, wusste nicht, was er machen sollte, also blieb er keuchend stehen und schaute sich um. Tatsächlich, aus dem Boden erhoben sich neue Mauern, sie strebten unaufhaltsam nach oben, unzählige Mauern in unterschiedlichsten Abständen und Winkeln.
Keine Zeit für Überlegungen, nur Zeit zu reagieren. León sprang über eine Mauer, die ihm bereits bis zu den Knien reichte, und stellte sich in die Mitte des neu entstehenden Raumes. Fasziniert und gleichzeitig fassungslos sah er zu, wie sich zu allen Seiten die Wände erhoben und mit einer Raumdecke vereinigten, die plötzlich am oberen Ende einer Wand erschien, sich herausschob und kurz darauf mit allen Wänden einen abgeschlossenen, hellen Raum bildete. Sein Gefängnis.
Er fluchte. Die Scheiße, in der er steckte, war dabei, über seinen Kopf zu schwappen und er hatte nicht die leiseste Ahnung, was hier ablief.
Aber er hatte Mary entdeckt und er wusste, die Wände seines Gefängnisses konnten verschwinden. Dieser Umstand beruhigte ihn ein wenig. Aber er hatte keinerlei Kontrolle über das, was mit ihm hier drin geschah. Und er hasste dieses Gefühl. Dieses Ausgeliefertsein. Das Gefangensein.
Was sollte er tun, wenn das nächste Mal die Wände verschwanden? Falls sie das überhaupt taten, würde er Mary wiederfinden? Wann würden diese verfluchten Mauern das nächste Mal im Boden versinken? Wo waren Jeb, Mischa und Jenna? Er hatte sie nicht gesehen, obwohl er weit in jede Richtung hatte sehen können.
León seufzte und sah sich zum ersten Mal richtig in dem neuen Raum um. Er unterschied sich kein bisschen von dem vorherigen. Es fühlte sich fast so an, als hätte er sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt. Schweiß tropfte von seiner Stirn, seine Lippen schmeckten salzig und erinnerten ihn daran, dass er schon lange nicht mehr getrunken hatte. Seine Oberschenkel zitterten. Er grinste. Ich war schon mal besser in Form.
León stellte sich in der Mitte des neuen Raumes auf. Beim nächsten Mal wäre er bereit, so viel war sicher. Sein Kampfgeist war ungebrochen.
Ich komme hier raus. Nichts und niemand wird mich aufhalten.
Er legte den Kopf in den Nacken und brüllte seinen Zorn hinaus: »Wer immer mir das antut, ich werde dich finden, cabrón, das schwöre ich!«
Plötzlich spürte er eine Bewegung in seinem Rücken. León wirbelte herum. Kampfbereit hob er die Fäuste.
»Wen willst du finden, alter Rebell?«, lachte Mischa und betrat durch eine Öffnung den Raum. Eine Öffnung wie eine Tür. Eine Tür, die vorher noch nicht da gewesen war, das hätte León schwören können. Doch da war er, Mischa, und er kam durch diese Tür in seinen Raum.
León spürte, wie ein Lächeln über sein Gesicht glitt.
Zuerst wusste Mischa nicht, wie er reagieren sollte, aber dann ließ er sich Leóns Umarmung gefallen und genoss seine Nähe. Nicht in den kühnsten Träumen hatte er sich ausgemalt, diesen unnahbaren Jungen zu berühren, ihn fest im Arm zu halten.
Diese Umarmung kam so unerwartet und Mischa hielt den Atem an, um den Moment nicht zu stören,
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