Labyrinth der Spiegel
schöne und schlanke Vika, nach der letzten Mode gekleidet. Oder, noch schlimmer, eine bucklige Brillenschlange in einem Sack, den sie als Kleid ausgab, und einem Mantel, der vorletztes Jahr up to date gewesen war.
Ich stöhnte leise und nahm damit die Verlegenheit und Enttäuschung vorweg, die uns beide unweigerlich einholen würde. In dem Moment glitten die Türen des Fahrstuhls auseinander, und ein kleines Mädchen mit einem Airedale Terrier an der Leine wich erschrocken einen Schritt zurück.
Sogar die Kinder hatten Angst vor mir …
Ich zwängte mich an dem übermütigen Hund vorbei und stiefelte nach unten zur Haustür.
»Guten Morgen!«, rief mir das Mädchen leise nach.
Ich hatte schon vergessen, dass man sich begrüßt …
»Guten Morgen«, erwiderte ich, lächelte, wenn auch zu spät, und stürmte aus dem Haus.
Der Loser hätte bestimmt daran gedacht, ihr einen guten Morgen zu wünschen, davon war ich überzeugt. Obendrein hätte er garantiert noch den Hund gestreichelt, der sich daraufhin vor Vergnügen auf dem Boden gewälzt hätte.
Obwohl ich inzwischen genug Geld hatte, um stolz erhobenen Hauptes mit dem Taxi zum Flughafen zu fahren,
verzichtete ich darauf. Ich wollte mich nicht beeilen, denn ich hatte Angst zu warten. Verdammte Angst. Deshalb frühstückte ich an irgendeinem Kiosk erst mal ein paar Hamburger, die zwar heiß, aber bestimmt nicht frisch waren. Ich hätte gern ein Bier getrunken, entschied mich aber angesichts des arroganten Blicks vom Verkäufer lieber für eine Limo.
Der Flughafenbus war fast leer. Nur eine müde Gruppe mit riesigen Taschen und ein paar nach der aktuellen Mode grell geschminkte Frauen fuhren mit. Ich stand hinten und blickte auf das davonkriechende Band der Straße.
Vielleicht sollte ich nicht fahren …
Um Viertel vor zehn erreichte der Bus den Flughafen. Ich stieg mit dem Optimismus eines zum Tode verurteilten Mannes aus und blieb noch ein Weilchen im Nieselregen stehen, ehe ich ins Gebäude ging.
Vielleicht war ja kein Flugwetter …
In der Halle war es warm und laut. Kinder tobten voller Vorfreude um ihre Eltern herum, kleine Privathändler schoben ihre Importware finster vor sich her, vor dem Schalter für einen Flug in den Süden checkten Touristen in Sommerbekleidung ein. Ich studierte die Nummern auf der Tafel, kein Flug war gecancelt worden.
Vielleicht hatte Vika es sich anders überlegt …
In der letzten halben Stunde waren vier Maschinen gelandet. Vika konnte aus Taschkent, aus Riga, aus Chabarowsk und aus Moskau gekommen sein. Wenn sie unser Treffen jedoch absichtlich so gelegt hatte, dass ihr genug Zeit nach der Landung blieb, käme ganz Russland und fast das gesamte Ausland infrage.
Ich ging zum Infoschalter. Da standen ein paar Menschen, aber keine Vika, das spürte ich auf den ersten Blick.
Wie unterschiedlich die Gesichter waren. Hässlich, müde und besorgt. Dergleichen gab es in der Tiefe nicht. Vielleicht war das ein Fehler.
Gegen die Wand gelehnt wartete ich. Meine äußerste Toleranzschwelle gegenüber der weiblichen Unpünktlichkeit war eine halbe Stunde. Für Vika würde ich jedoch eine Ausnahme machen, sie sollte eine Stunde bekommen. Oder zwei. Ich würde mit dieser Wand festwachsen, bis die Miliz mich losschälen würde.
Ein Notebook mit Funkmodem wäre jetzt von Vorteil. Dann würde ich das Deep-Programm starten, in die Tiefe tauchen, die Buchungen durchgehen …
Ich schloss die Augen.
Die Tiefe lag vor mir.
Schwarzer Samt, ein bodenloser Abgrund, durchbohrt von bunten Fäden. Die kleine Erdkugel im neuen Kleid. Die Tiefe wartete. Ich sah die Funken der Flugzeuge, die starteten und landeten, die Datenstrudel, die von den Rechnern verarbeitet wurden, machte in der Ferne die Gebäude Deeptowns aus. Ich bräuchte mich bloß im Raum auszudehnen und wäre dort. Ich konnte auf meine Kiste verzichten.
Irgendwo im Flughafen trieb jemand Missbrauch mit seinem Computer. Ging über ihn in die Tiefe . Ich stellte mich kurz hinter ihn, um mir das Bild mit seinen Augen anzusehen.
Das war meine Welt.
Eine reiche und grenzenlose Welt, eine laute und chaotische Welt. Die Welt der Menschen. Wenn wir nur daran glaubten, würde sie besser werden, würde sie sich gemeinsam mit uns ändern. Wieso solltest du dich in einem Labyrinth verlaufen, wenn der Ausgang vor dir liegt? Wieso solltest du dich in Spiegelbilder verlieben, wenn es neben dir echte Menschen gibt?
Vielleicht wäre dann der nächste Gast aus der Tiefe nicht mehr der
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