Blutrubin Trilogie - Band 2: Der Verrat (German Edition)
Kapitel 1
Obwohl es in der großen Eingangshalle von Castle Hope eisig war, nahm ich die Kälte kaum wahr. Das lag daran, dass ich mich vor mehr als zwei Monaten in einen Vampir verwandelt hatte. Entgegen einigen Aussagen in diversen Romanen und Filmen war ich jedoch keine wandelnde Untote. Ganz im Gegenteil. In meiner Brust schlug ein Herz, in meinen Adern floss Blut und mein Körper war genauso warm, wie zu meinen Lebzeiten als Mensch. Ich war schneller und stärker und besaß nun viel ausgeprägtere Sinne, aber sonst war ich noch immer die Claire, die ich schon vor meiner Verwandlung gewesen war. Doch es gab einen gravierenden Unterschied, ich war jetzt unsterblich. Das nahm ich zumindest an.
Ich stand mit dem Rücken zur Wand und sah direkt in den Lauf einer Schrotflinte, Model Winchester 1893. Ganz automatisch drückte ich mich noch dichter an die grob gehauene Mauer hinter mir, bis sich die kalten Steine schmerzhaft in meine Rippen bohrten. Ich atmete tief ein und warf meinem Gegenüber einen auffordernden Blick zu.
»Was ist, fehlt dir der Mut?«, spottete ich, ohne das auf mich gerichtete Gewehr aus den Augen zu lassen. Berta runzelte die Stirn und sah mich fragend an.
»Ich weiß nicht so recht, bist du wirklich sicher?«, entgegnete sie mit leicht zittriger Stimme.
»Ja, ich bin mir sicher«, schnaubte ich.
»Na gut, du musst es ja wissen, schließlich ist es dein Körper. Jammer mir aber nicht die Ohren voll, wenn du Schmerzen hast«, antwortete sie und drückte ab.
In dem Augenblick, als die unzähligen, kleinen Schrotkugeln in meine Haut eindrangen, sie zerfetzten und sich tief in mein Fleisch bohrten, keuchte ich vor Schmerzen laut auf und sank zu Boden.
»Verdammte Scheiße, tut das weh«, fluchte ich durch zusammengebissene Zähne, schloss die Augen und presste die Hände auf meinen Bauch, um den Schmerz durch den Druck ein wenig zu lindern.
Ich hörte Bertas hektische Schritte, dann legte sie mir ihre Hand auf die Schulter. Mit meiner Unsterblichkeit hatte ich leider nicht mein Schmerzempfinden verloren, was ich in den letzten beiden Wochen immer wieder am eigenen Leib festgestellt hatte.
»Ist alles in Ordnung, Claire? Soll ich James rufen?«, fragte sie besorgt. Ohne meine Augen zu öffnen, winkte ich hastig ab.
»Wenn du James etwas sagst, bis du die Nächste die Bekanntschaft mit dieser Schrotflinte macht«, drohte ich ihr und lehnte meinen Kopf an die kühlen Steine der Wand.
»Wer wird Bekanntschaft mit einer Schrotflinte machen und was ist hier überhaupt los?« Erschrocken sah ich auf und erblickte James, der mit einer hochgezogenen Augenbraue die Treppe herunterkam.
Er sah wie immer so fantastisch aus, dass es mir fast den Atem verschlug und abermals wurde mir bewusst, wie perfekt er doch war. Sein rostbraunes Haar reichte ihm bis zu den Schultern und eine einzelne Strähne fiel ihm fortwährend in sein Gesicht, egal wie oft er sie sich herausstrich. Er trug eine ausgewaschene Jeans und einen beigen Rollkragenpullover, der so figurbetont war, dass sich sein muskulöser Körper darunter abzeichnete. James war 21, doch er wirkte viel reifer, was aber daran lag, dass er in Wirklichkeit 321 Jahre alt war.
Seit gut zwei Monaten waren wir nun ein Paar, und trotzdem hielt ich jedes Mal die Luft an, wenn ich ihn erblickte. Während ich so vor mich hin schmachtete, fiel mir plötzlich ein, was für eine Szene sich ihm gerade bot.
James verwöhnte mich, wo es nur ging, und war sehr darauf bedacht, dass mir kein Haar gekrümmt wurde. Manchmal wirkte er fast wie eine Glucke, die mit allen Mitteln ihr Nest verteidigte. Dass ich mit meiner neu erworbenen Unsterblichkeit herum experimentierte, konnte er nicht verstehen und hatte schon mehr als einmal, seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht. Jetzt hatte er mich schon wieder dabei erwischt und ich wusste genau was er gleich sagen würde. Unbeholfen versuchte ich, den blutigen Fleck auf meiner Bluse mit meinen Händen zu verdecken.
»Mist, das hat mir gerade noch gefehlt«, murmelte ich und verdrehte die Augen. Mittlerweile hatte der Schmerz nachgelassen und ich spürte nur noch ein leicht unangenehmes Kribbeln, dort wo die Schrotkugeln in meinen Körper eingedrungen waren.
James Blick fiel auf die Flinte in Bertas Hand, dann auf mich, und als er meine blutverschmierte Bluse sah, weiteten sich seine Augen. So schnell, wie es nur einem Vampir möglich war, eilte er zu mir und kniete sich neben mich auf den Boden. Ganz behutsam
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