Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
Augenpaare waren auf ihn gerichtet. In seinem Zimmer riss er sich die Bauernkappe herunter und schrie Saric an: »Was soll das? Kannst du mir das erklären?«
»Herr, es ist ein großer Tag. Der Prinz wurde gefunden.«
»Wie? Von wem? Wer ist es?«
»Nun, Ihr seid es doch selbst, Herr.«
»Ich? Das ist ja absurd. Was für eine Verschwörung steckt dahinter? Sag mir die Wahrheit, Saric. Wenigstens du.«
»Ich lüge nicht, Herr, das wisst Ihr. Ihr seid Prinz Jaryn Fenraond, der Sohn Dorons.«
Jaryn stieß ein schrilles Gelächter aus. »Der Sohn Dorons? Wer hat sich das ausgedacht? Wer? Wenn ihr glaubt, dass ich eure Intrigen mitmache …«
»Es sind keine Intrigen, Herr. Der König wird Euch noch heute als seinen Sohn anerkennen.«
»Ach ja? Also macht auch er das schmutzige Spiel mit. Der Prinz wurde nicht gefunden, also musste einer her. Und die Wahl ist auf mich gefallen. Hast du vergessen, dass der Weise von Kurdur mir den Auftrag erteilt hat, ihn zu suchen? Zu suchen, Saric!«
»Und Anamarna hat weise gesprochen. Es war beabsichtigt, dass Ihr Euch selbst finden solltet und Eure Bestimmung erkennt. Die Suche war nur eine Prüfung, und Ihr habt sie offensichtlich bestanden. So sagen es die Priester.«
Jaryn wurde totenbleich, seine Lippen zitterten. »Alles – alles war ein einziger Betrug? Ein Schwindel? Und du, Saric, du hast es gewusst?«
»Oh nein, Herr. Ich bin zu gering, um eingeweiht zu sein. Ich weiß es auch erst seit heute. Wenn Ihr Fragen habt, so wendet Euch an die Oberpriester, aber am besten wohl an Anamarna selbst. Er befindet sich in Margan.«
Jaryn ließ sich wie betäubt auf einen Stuhl fallen. »Das ist nicht wahr«, murmelte er. »Das kann nicht wahr sein.« Er sah den Weisen vor sich, wie er vor seiner Hütte saß. Ein liebenswürdiger alter Mann. Auch er hatte dieses Verwirrspiel mitgemacht, war vielleicht sogar sein Urheber?
»Ich bitte Euch, jetzt das Prinzengewand anzulegen. König Doron wird Euch dem Volk als seinen Sohn vorstellen.«
Jaryn hob erschrocken beide Arme. »Das will ich nicht. Das geht auf keinen Fall …«
»Herr, ich verstehe, dass Ihr überrascht seid. Ja, eine Überraschung für Euch sollte es werden, ich sehe zu meiner Betrübnis, dass sie misslungen ist, sie hat Euch nur verwirrt. Ich bedauere das sehr, aber ich habe an den Plänen nicht mitgewirkt. Es geschah ohne mein Wissen, sonst hätte ich Euch unterrichtet. Bitte glaubt mir das.«
»Ich glaube dir«, hauchte Jaryn kraftlos.
»Ich bin Euer Diener und muss Euch ankleiden. Bitte, Herr …«
»Schon gut, Saric.« Jaryn erhob sich schwerfällig. Er sah ein, dass ihm momentan nichts anderes übrig blieb, als zu gehorchen.
Die Prunksänfte, in der Jaryn saß, angetan mit dem Prinzengewand, wurde von acht starken Sklaven die gewundene Treppe zum Palast hinaufgetragen. Unterwegs hatten die Menschen Jaryn zugejubelt und immer wieder seinen Namen gerufen. Dazwischen waren auch immer wieder Worte laut geworden wie: »Unser Retter!«, »Er hat Razoreth besiegt!«, »Margan ist vom Fluch erlöst!« oder »Das Unheil ist vorüber!«
Jaryn war von all den Eindrücken ganz benommen. Das Unheil fängt erst an!, ging es ihm flüchtig durch den Kopf, aber er konnte den Gedanken nicht festhalten. Er beschloss, alles über sich ergehen zu lassen. Wenn er wieder klar denken konnte, wollte er der Sache schon auf den Grund gehen. Doch jetzt in der Öffentlichkeit wusste er, was er dem Sonnentempel, was er Margan schuldete: einen stolzen, unnahbaren Priester und Prinzen. Denn so wollten es die Edlen.
Den Sonnenpriestern hatten sich nun auch Suthranna und die Mondpriester angeschlossen. Alle vereint, dachte Jaryn beiläufig, hatte jedoch nicht die Kraft, sich zu wundern. Er hielt nach Caelian Ausschau, konnte ihn aber nicht entdecken. Hatte er etwas gewusst? Hatte er ihn hingehalten, oder war er ahnungslos gewesen wie Saric?
Auf der riesigen Dachterrasse des Palastes machten die Sänftenträger Halt. Dort warteten bereits die Beamten und Würdenträger des Königs, alle in kostbare Gewänder gekleidet. Sobald auch die Priester beider Tempel die Terrasse erreicht hatten, wurde Jaryn ersucht, die Sänfte zu verlassen. Er erblickte einen langen Teppich, an dessen Ende der Thron Dorons stand. Jaryn hatte den König noch nie aus der Nähe gesehen, und auch jetzt legte er keinen Wert darauf. Unter gesenkten Lidern hielt er Ausschau nach Caelian oder Anamarna. Doch er konnte sie in der Menge nicht ausmachen.
Gemessenen
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