Lady Marys romantisches Abenteuer
unterbrach er sie. „Wie Sie sehen, gehörte er die ganze Zeit nicht Ihrer Schwester, sondern mir.“
Sie erhob sich und ging zu dem Bild. „Also war er Teil eines größeren Bildes. Meine Schwester hatte es sich schon gedacht.“
D’Archambault lächelte, und die Madonna erwiderte sein Lächeln. „Es ist der Altar der Feroces, meine Liebe. Ich habe Ihnen bereits davon erzählt. Er wurde vor fast dreihundert Jahren auseinandergerissen. Jetzt endlich ist er wieder zusammengefügt.“
„Das mag ja stimmen“, meinte Diana, „aber meine Schwester bezahlte gutes Geld für diesen Engel. Er gehört immer noch ihr, und Sie haben ihn ihr gestohlen.“
Zu d’Archambaults Entsetzen trat sie einen Schritt vor und fing an, den Engel vom Mittelteil zu lösen. Ohne nachzudenken, griff d’Archambault zwischen die Polster seines Sessels, zog eine Pistole hervor und zielte auf das Mädchen. Er musste beide Hände benutzen, um die Waffe ruhig auf die Armlehne zu stützen. Das Klicken, als er den Abzug spannte, ließ Diana sich umdrehen.
„Ich bin ein sterbender Mann, meine Liebe“, sagte er. „Sie zu töten würde mein Gewissen nicht belasten.“
Sie sah auf die Waffe. „Wie können Sie sterben und doch eine Pistole in der Hand halten?“
„Gerade weil ich sterbe, halte ich sie in der Hand, meine Liebe. Die Welt jagt den Schwachen. Ich traue niemandem, besonders Ihnen nicht. Das Gemälde bleibt, wo es ist. Wo es hingehört.“
„Es gehört zu meiner Schwester“, protestierte Diana, aber sie nahm doch die Hände von dem Bild und faltete sie vor der Brust. „Nur weil Sie es gestohlen haben, gehört es noch lange nicht Ihnen.“
„Man hat es meiner Familie gestohlen.“
„Und es wieder zu stehlen bringt alles in Ordnung?“, fragte sie ungläubig. „Ich weiß, hier in Frankreich liegen die Dinge etwas anders, Monsieur le Comte. Aber doch nicht so anders, dass der Diebstahl am Eigentum anderer als gerecht betrachtet werden kann.“
„Ihr Engländer und Eure ‚Gerechtigkeit‘“, spottete er. „Ihr alle geht mit dem Leben um, als wäre es ein Spiel, ein Spiel für Schuljungen.“
„Das ist besser als das, was Sie hier in Frankreich betreiben!“
„Sie vergessen nur, Kleines, ob Sie nun Engländer oder Hottentotte sind, solange Sie sich in Frankreich aufhalten, unterliegen Sie den französischen Gesetzen und Gebräuchen“, entgegnete er. Wegen des vielen Redens ging sein Atem pfeifend, die Schmerzen in seinem Magen ließen ihn nur noch gepresst sprechen. „Und wenn ich Ihnen sage, dass ich Sie niederschieße, wenn Sie sich nicht wie ein braves Mädchen hinsetzen, dann können Sie mir glauben, dass ich es tun werde.“
„Was, wenn ich mich nicht hinsetze?“, fragte sie. Doch er konnte das furchtsame Zittern hinter ihrem Trotz hören. „Was, wenn ich stattdessen die Tür öffne und schnurstracks zur Obrigkeit gehe und erzähle, dass Sie meiner Schwester ihr Eigentum gestohlen und mich entführt haben?“
„Vorher würde ich Sie töten“, entgegnete er. „Oder vielleicht würde ich Sie auch einfach nur verwunden. Aus dieser Nähe könnte selbst ich gut genug zielen, um, oh, um zum Beispiel Ihr Bein zu zerschmettern. Was würden das für Qualen sein, nicht wahr, wenn der Arzt Ihnen ihr hübsches, nutzloses Bein abschneiden müsste? Dann würden sich die Herren wohl kaum mehr danach drängen, einen Tanz von Ihnen zu bekommen, oder?“
Sie starrte ihn so lange an, dass er tatsächlich dachte, sie wollte ihn herausfordern, es doch zu wagen. Kindische Person! Konnte sie sich nicht vorstellen, dass er schon viel Schlimmeres verbrochen hatte?
„Ich sagte Ihnen ja, meine Liebe, dass ich im Sterben liege“, sagte er. „Bleiben Sie und das Bild hier, bis ich es getan habe! Das ist alles, was ich verlange.“
Doch noch bevor sie darauf antworten konnte, hörte er das Hämmern an der Haustür. Er hörte seine Diener mit jemandem streiten, hörte, wie andere Stimmen laut wurden und dann Schritte auf der Treppe.
Plötzlich lächelte Diana triumphierend, gerade, als wäre sein zitternder Finger nicht das Einzige, das sie vom Tod trennte.
„Das ist meine Schwester“, erklärte sie ungestüm. „Ich wusste, dass sie kommen würde. Meinetwegen und wegen des Engels.“
„Das hier ist das Haus des Comte d’Archambault, Monsieur!“, sagte der Diener entrüstet. „Hier können Sie nicht so einfach eintreten.“
„Der Comte erwartet uns“, antwortete ihm John und drängte sich an dem Mann vorbei. Mary
Weitere Kostenlose Bücher