Lady Marys romantisches Abenteuer
begraben, auf dem Kirchhof unter freiem Himmel, statt hier so ganz allein.“
„Du schon, mein Schatz“, entgegnete John. „Sie aber nicht. Ich glaube nicht, dass sie jenseits von Macht und Reichtum noch etwas interessierte.“
„Vermutlich ist das der Grund, warum sie diesen Mann geheiratet hat“, erwiderte Mary fröstelnd. „Macht und Reichtum, so wie sie sie als Mädchen besessen hatte, wiederzuerlangen, das war alles, was sie wollte. Und sie wollte es nicht aus Liebe. Nirgendwo ist hier etwas Liebevolles zu entdecken. Wie kann eine Frau nur ohne Liebe leben?“
„Ich sagte es dir doch, Mary“, meinte John sanft, „sie war nicht wie du.“
Mary schüttelte den Kopf und nahm seine Hand. „Ich bin so glücklich mit dir, dass ich mir mein Leben anders gar nicht vorstellen kann.“
„Was für ein Glück für mich“, sagte John, während sie beide um das Grabmal herumgingen. Mit einem Mal stieß er einen Pfiff aus. „Sieh mal hier, Mary. Ist das nicht das Mittelstück des Triptychons?“
Am Ende des Sarkophags, unter dem Kopf der Figur, war die gleiche Madonna dargestellt, die Fra Pacifico gemalt hatte. Anscheinend hatte Isabella den Bildhauern das Originalbild als Vorlage gegeben.
„Das Gemälde muss ihr so viel bedeutet haben, dass sie es immer bei sich haben wollte“, flüsterte Mary ehrfurchtsvoll.
Von der Nase der marmornen Isabella spannte sich ein Spinnwebfaden zu ihren Händen. Mary wischte ihn mit ihrem Taschentuch behutsam fort. „Vielleicht war sie am Ende ihres Lebens besorgt wegen ihrer Sünden, genau wie d’Archambault?“
„Dann erkläre mir doch einmal das hier, Liebling“, antwortete John und beugte sich noch tiefer unter den Kopf der Figur. Unter dem mit Quasten geschmückten steinernen Kopfkissen war eine Geldkassette naturgetreu nachgebildet worden, mit Eisenbändern und Schlössern. In eines der Schlösser war eine lateinische Inschrift eingraviert, so klein, dass die meisten sie wohl übersahen.
Doch nicht so Mary und John.
„Für die Bösartigen gibt es kein Gold im Königreich des Himmels.“ Erschrocken übersetzte Mary flüsternd den Text. „Oh, John, denkst du jetzt, was ich denke?“
„Dass sie das Gold der Feroce mit sich ins Grab genommen hat“, erwiderte er langsam. „Es ist da drin, in ihrem Sarg.“
„Vielleicht glaubte sie, das Gold könnte ihr den Frieden geben, den ihr der Himmel verweigern würde.“ Mary warf einen letzten Blick auf die Frau, deren Herz so kalt gewesen war wie der Stein, der sie jetzt umgab, und drückte Johns Hand. „Ich habe genug gesehen, John. Lass uns gehen.“
Als sie wieder auf den ausgetretenen, sonnenbeschienen Stufen der Kirche standen, war Mary den Tränen nahe.
„Ach, Liebling“, sagte John und nahm sie sofort in die Arme, als er es bemerkte. „Wir hätten nicht herkommen sollen. Es regt dich zu sehr auf.“
„Nein, nein, es war gut, dass wir gekommen sind“, meinte sie und sah zu ihm auf, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. „Denn mehr denn je verstehe ich jetzt, wie sehr ich dich liebe, und dass das wichtiger ist als alles andere.“
Er lächelte verschmitzt. „Wichtiger als die Gemälde? Wichtiger als der Goldschatz, der wahrscheinlich da drinnen liegt?“
Sie lächelte ihn unter Tränen an. „Wichtiger“, sagte sie. „Unendlich viel wichtiger.“
Sein Lächeln wurde strahlender. „Wichtiger als Abenteuer?“
„Nein“, sagte sie und grinste ihn schelmisch an. „Denn dich zu lieben, ist mein Abenteuer.“
Er lachte und küsste sie. „Dann komm mit mir, meine Mary“, flüsterte er. „Das Abenteuer hat erst begonnen.“
–ENDE–
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