Lallbacken
um Entschuldigung bitten. Sich selbst entschuldigen konnte er nicht. Das machte in der Tat verdrossen. Natürlich kannte er den Unterschied genau. Als er im israelischen Parlament eine Rede hielt, da hat er um Entschuldigung gebeten. Die Rede wurde auch allgemein gelobt.
Leider hat folgende Passage in der Rede von Johannes Rau gefehlt: »Liebe Israelis, fast jeden Monat werden bei uns in Deutschland Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen geschändet. Entschuldigt bitte. In unseren Schulbüchern steht ein bisschen wenig darüber, wer das Naziregime finanzierte und wer mit Hilfe der Arisierung den Grundstock seines heutigen Vermögens legte. Tut uns leid. Leider hat ein Berliner Gericht den Neonazis erlaubt, durchs Brandenburger Tor zu marschieren. Hoffentlich seid Ihr darüber nicht böse. Wir haben zwar die Schuldigen an der Hitlerdiktatur weder enteignet noch eingesperrt, aber es sind eben auch sehr viele – da müsst Ihr schon entschuldigen. Und dass es ein bisschen gedauert hat, bis diejenigen, die sich am Sklavenhandel des Dritten Reiches bereichert hatten, mit der Kohle rübergekommen sind, das lag eben daran, dass sie die erst mal über Preiserhöhungen und Lohnsenkungen von unseren Steuerzahlern reinholen mussten. Dafür, hoffe ich, habt Ihr Verständnis. Also, liebe Israelis, entschuldigt bitte, wenn ich auf all dieses nicht näher eingehe, aber ich kann mich ja nicht um jeden Kleinkram kümmern.«
Da hatte er recht. Und die Politik darf ja auch keinen Schaden nehmen, der sich nicht rechnet.
Für seine Nachfolge nominierte die SPD eine Frau. Die SPD schlägt immer dann eine Frau für ein hohes Amt vor, wenn sie selbst keine Verfügungsgewalt über dieses Amt hat. Wie ja überhaupt nur dann laut über Frauen in hohen Ämtern nachgedacht wird, wenn gerade hinter den Kulissen ausgehandelt wird, welcher Mann es wirklich werden soll.
Gesine Schwan, ihrem Gegenkandidaten zumindest frisurentechnisch haushoch überlegen, wäre nie als Bundespräsidentin-Kandidatin aufgestellt worden, wäre sie ein Mann gewesen. Sie hatte sich vorgenommen, sollte sie wirklich Bundespräsidentin werden, zur »Selbstverständigung der Gesellschaft« beizutragen. Niemand wusste, was eine Selbstverständigung ist. Meinte sie vielleicht Verselbständigung? Ausgeschlossen. Eine Verselbständigung der Gesellschaft kommt ebenso wenig in Frage wie eine Selbstverständigung der Gesellschaft oder eine Vergesellschaftung des Verständigungselbst. Frau Schwan plädierte einfach nur für eine Gesellschaft der ständigen Verselbstung, ist doch klar. Eventuell sollte man auch mal ein Tier als Bundespräsident ausprobieren, am besten ein weibliches Tier, eine sechzehnkarätige Goldhamsterin zum Beispiel. Das wäre dann mal eine Bundespräsidentin zum Anfassen.
Nach dem Abgang von Johannes Rau schien es zunächst so, als könne nun wirklich jeder Bundespräsident werden. Zur Wahl standen unter anderen die Jacob Sisters mit ihren Pudeln und Rudolph Moshammer mit seiner Bettwurst, aber der Sieger hieß dann doch Horst Köhler. Im Lexikon steht: Der Köhler war ein Handwerker, der die Herstellung von Holzkohle gewerblich betrieb. Der »schwarze Mann«, der oft »ohne festen Wohnsitz von Meilerplatz zu Meilerplatz zog«, war eine dubiose Figur: Der »Aufenthalt im nächtlichen Wald war verantwortlich dafür, dass der Köhler häufig mit Spukgestalten in Verbindung gebracht wurde«. Und mangels sozialer Kontakte galt der Kohlenbrenner häufig als einfältig und naiv – daher der »Köhlerglaube«, die dunkle Entsprechung der Milchmädchenmathematik. Vom Köhlerhandwerk kommt auch die Redensart vom Auf-dem-Holzweg-Sein: Der Holzweg, über den der Brennstoffhersteller sein Rohmaterial zum Kohlenmeiler brachte – war eine Sackgasse. Und in Kleists Käthchen von Heilbronn gibt es die Regieanweisung: »Köhler ab in die Hütte.« Weshalb also Köhler? Vielleicht, weil er ein Komparativ ist? Kohl – Köhler – hm.
Bundespräsident Köhler tat, was man von ihm erwartete: Er hielt Reden wie in Gelee gemeißelt. Und er hatte ein bedrohliches Lächeln, wenn er völlig gedankenfreie Sätze formulierte. Oder gerade deswegen.
Horst Köhler war knapp ein halbes Jahr Bundespräsident, da gab es schon ein richtiges Buch über ihn: Offen will ich sein – und notfalls unbequem . Es handelte sich wohl um den Dialog zwischen einer alten Jeans und einem durchgescheuerten Sessel. Rasch und überzeugend wurde aus Horst Köhler der Phrasenköhler. Beim Festakt zum
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