Lallbacken
Revolutionärin: Nie stand sie auch nur in den ersten hundert Reihen derer, die gegen das DDR-Regime demonstrierten. Und laut »wir sind das Volk« rufend, ein tapferes Teelicht in der kleinen Faust, wurde sie nirgends gesichtet und abgelichtet. So konnten die Schergen des Systems sie auch nicht dingfest machen. Madame hat in einer Ostberliner Sauna die Maueröffnung schlicht verschwitzt.
Nach dem Rücktritt des Despoten Mubarak erklärte Kanzlerin Merkel: »Präsident Mubarak hat mit seinem Rücktritt dem ägyptischen Volk einen letzten Dienst erwiesen.« Wenn der Rücktritt Mubaraks letzter Dienst am Volk war: Welche Dienste hat er dem Volk zuvor geleistet? Es musste etwas zu tun gehabt haben mit Unterdrückung, Willkür und Folter.
US-Präsident Obama vermutete, Kollegin Merkel sei ein »Symbol für den Triumph der Freiheit« und überreichte ihr die amerikanische Freiheitsmedaille.
Trotzdem: Angela Merkels Selbstbewusstsein hat auch etwas Anrührendes: »Ich lege Wert darauf, dass ich ich bin.« Soll sie – denn wer, außer Angela Merkel, möchte schon Angela Merkel sein?
Etwa einen Monat vor dem fünfzigsten Jahrestag des Mauerbaus verblüffte Kanzlerin Merkel alle Welt mit dem Bekenntnis: »Dass jedes Land seine Grenze sichern muss – ich glaube, das ist doch das Normale«, zumal, meinte sie weiter, wenn sich dieses Land für Stabilität einsetzt. Guck an, dachte der Zuschauer, der ein wenig zu spät eingeschaltet hatte, endlich sagt es mal eine: Die Mauer hatte für Stabilität in Mitteleuropa gesorgt. Dann aber verstand er: Die Kanzlerin sprach nicht von der Mauer, sondern von Angola und davon, »dass wir im umfassenden Sinne keine Aufrüstung betreiben«, wenn Deutschland der angolanischen Küstenwache acht bestens bewaffnete Küstenschutzboote lieferte. Das war eben der gesamtdeutsche Fortschritt: Eins dieser Schiffe war vermutlich teurer als die Mauer in gesamter Länge inklusive Stachelhunde und Schäferdraht.
2011 wurde der als Terrorist gesuchte Osama Bin Laden von einem amerikanischen Einsatzkommando in seinem Schlafzimmer hingerichtet. Die Bildzeitung hatte schon vor Jahren geschrieben: »Die amerikanischen Elitetruppen in Afghanistan haben den Geheimauftrag, Osama Bin Laden zu köpfen. Sie sollen ihm Kopf und Hände abtrennen, sie in einen Rucksack packen und dann so schnell wie möglich das Kampfgelände verlassen.« Ob es wirklich dazu gekommen ist oder ob man den Mann nur filetiert hat, erfuhr bis dato niemand, aber die deutsche Kanzlerin sah sich zu der Äußerung veranlasst: »Ich freue mich, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.«
Dass Frau Merkel sich freute, war nachzuvollziehen. Aber dass sie das nicht klammheimlich tat, wie das in gewalttätigen Kreisen der Bundesrepublik Tradition hat, sondern lauthals rausposaunte, war saudämlich. Kanzlerin Merkel ist Vorsitzende einer Partei, die sich christlich nennt. Sie kennt sich aus in allen Variationen von Doppelmoral, es macht ihr nichts aus, den Widerspruch zwischen christlichem Anspruch und realem Tun auszuleben. Aber die Liquidation selbst eines Massenmörders ohne vorheriges Gerichtsverfahren ist nun mal Lynchjustiz. Und Lynchjustiz wird als rechtswidrige Bestrafung einer Person in Rechtsstaaten geächtet. Vor Jahren wurden die Bilder jubelnder Bin-Laden-Fans in arabischen Ländern nach dem Fall der New Yorker Twin Towers zum Skandal. Nun wurde mal wieder bestätigt, dass es in unseren Breiten Leute gab, die keinen Grund haben, sich moralisch überlegen zu dünken.
Lallbacke Merkels Bilanz: Die Gesundheitsreform ist als Pipifax auf der Strecke geblieben, die Hartz-IV-Reform hat nicht dazu geführt, dass die Betroffenen Rücklagen bilden konnten, die Finanzmärkte sind weiterhin out of control, ein sinnvolles Steuersystem ist nirgends in Sicht, und der Umbau der Bundeswehr zu einer weltweit für deutsche Wirtschaftsinteressen agierenden Profitruppe macht keinen besonders friedfertigen Eindruck.
Allein der Ausstieg aus der Atomkraft signalisiert das Ende eines gesellschaftlichen Konflikts – aber darauf hätte die gelernte Physikerin Merkel auch früher kommen können. Gefahren der Atomenergie sind schon eine ganze Weile bekannt. Aber vergessen ist nicht: Unter Merkels energischer Führung, damals als Umweltministerin, erlebte der Polizeistandort Deutschland 1996 eine wahre Maienblüte, vor allem rund um Gorleben. Zwar war es Merkels Aufgabe, die Bevölkerung vor Verstrahlung zu beschützen. Aber weil Frau Merkel vor allem das
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