Lallbacken
dulde trotz höchstrichterlicher Urteile religiöse Symbole in öffentlichen Einrichtungen. Und was die Frauen beträfe: Jede dritte Frau in Deutschland sei in ihrem Leben bereits einmal geschlagen worden. 58 Prozent der Befragten seien schon mal sexuell belästigt worden, und jede siebente erlebte sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung. Dazu käme: In Deutschland sei der Europagedanke nicht sonderlich weit verbreitet. Das allgemeine Desinteresse erkenne man schon daran, dass nur etwa die Hälfte der Wahlberechtigten bei Europawahlen wählen gehe. Dieses alles bedenkend, warnte die Zeitung zwar davor, per Unterschriftenaktion den EU-Ausschluss Deutschlands zu fordern, sie stellte aber auch fest, Deutschland sei einfach noch nicht reif für Europa.
Zum Thema Europa hat Kurt Tucholsky zu Protokoll gegeben: »Einmal wurde ein besonders unanständiger, besonders kniffliger Witz erzählt. Der Tscheche verstand ihn sofort, der Italiener gleich, der Holländer nach einer halben Stunde und die Dame aus Hamburg nie. Der Grieche kannte ihn.« Es ist also zu befürchten, dass wegen dieser gravierenden Unterschiede auch der Eurohumor auf eine einheitliche Euronorm festgelegt werden muss, damit die Europäer in einheitlich festgelegter Lautstärke lachen.
Womit deutsche Politikerinnen und Politiker immer wieder konfrontiert wurden, war der Beitritt der Türkei zur EU. Zu diesem Thema gab es zahlreiche Ressentiments, Vorurteile und Projektionen – einig war man sich aber, dass die Türkei Folter und Todesstrafe abschwören musste, wenn sie in die EU aufgenommen werden wollte. Irritierend daran war allerdings, dass niemand, dieser Logik folgend, verlangte, die USA müssten schleunigst aus der NATO rausgeschmissen werden.
Und was ging wohl in den Köpfen der Bulgaren und der Rumänen vor, wenn die den wegen seiner Billigstromaffäre selbst in der CDU inzwischen vergessenen Herrn Laurenz Meyer oder den Herrn Glos über die EU reden hörten? Die beiden Herren hielten Bulgarien und Rumänien für beitrittsfähig, die Türkei aber nicht für beitrittswürdig. Nähere Erklärungen wurden nicht abgegeben. Dabei gab es gute Gründe für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen – nicht nur mit der Türkei, sondern auch mit arabischen Ländern: Man könnte endlich die Muslime ins Kirchensteuersystem eingliedern, Muezzin würde Lehrberuf mit Diplom, und die Gefahr von Selbstmordattentaten fanatischer Moslems würde reduziert, weil es viel zu lange dauert, bis dafür aus Brüssel die notwendigen Bewilligungsbescheide vorliegen.
Als diese Möglichkeiten keinen Beifall fanden, startete die Jungfrau von Meck-Pomm die Aktion »Draußen vor der EU-Tür«. Angela Merkel warb für ihr Modell einer »privilegierten Partnerschaft« der Türkei. Das animierte einige bornierte Nazis, in geschliffenem Doitsch ein Flugblatt zu entwerfen: »Hiermit erkläre ich, dass ich gehgen einen priwilegierten Beitritt, also gegen eine Volmitgliedschaft ohne Privilegien oder einfach gesagt, ich bin dagegen, dass der Türke hier bei uns mütmüscht, aber er soll ganz priweligiert da unten bei sich. Da bin ich dafür, und gegen das andere da bin ich dagegen.«
Auch Kurt Biedenkopf erklärte, dass der »Einwanderungsdruck aus dem Süden« eine »Gefahr« sei. Wie dieser »Gefahr« zu begegnen sei, ließ Biedenkopf offen. Aber er schlussfolgerte, dass »die Fortführung unserer Lebensweise nur möglich ist, wenn sie auch in Zukunft einer privilegierten Minderheit in den hoch entwickelten Industrienationen vorbehalten bleibt«. Das war eine Meinung von Gewicht, denn: Kurt Biedenkopf war Professor, kleinwüchsig und Ministerpräsident von Sachsen. Es gab zu der Zeit keinen Zweiten, auf den diese drei Kriterien zutrafen. Jenseits von Biedenkopf wurden ernsthafte Debatten geführt über die Deutschpflicht auf Schulhöfen. Claudia Roth von den grünen Gurken sprach sich gegen die Deutschpflicht auf Schulhöfen mit dem Argument aus, Schulhöfe seien keine Kasernenhöfe. Brillant! Übrigens auch keine Hinterhöfe, Bauernhöfe oder Wertstoffhöfe.
Der Hamburger CDU-Politiker Robert Heinemann plädierte dafür, die Deutschpflicht so strikt zu handhaben, dass Kinder, die in fremder Zunge redeten, den Hof fegen sollten. Das bietet immerhin die Möglichkeit, den türkischen Hausmeister einzusparen.
Wirklich überzeugend äußerte sich nur der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der Herr Oettinger: »Deutsch bleibt die Sprache der Familie, der Freizeit, die
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