Lallbacken
umgehen. Kurnaz war aber auch ein Opfer deutscher Behörden, die ihm, als er in Guantánamo wohnhaft war – wohnhaft, ja, kann man so sagen – seine deutsche Aufenthaltsgenehmigung entziehen wollten mit der perfiden Begründung, er habe es verpasst, rechtzeitig um eine Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung nachzusuchen, und diese deshalb verwirkt. Dann gab es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, dessen Aufgabe es war, jede Form von Aufklärung zu verhindern. Immerhin räumte die deutsche Regierung kaltschnäuzig ein, es habe Verbalkontakte zwischen Kurnaz und deutschen Beamten gegeben.
Verhöre als Verbalkontakte zu bezeichnen – was für eine aparte Wortfindung.
Trotz aller offiziellen Vertuschungs- und Vernebelungsversuche wurde deutlich: Frank-Walter Steinmeier war eigentlich ein Fall für den Staatsanwalt, auch wenn sein Chef, der Hannoveraner Rechtsanwalt Schröder, der angeblich gar nichts von der Angelegenheit mitgekriegt hatte, erklärte, Steinmeier habe »völlig korrekt« gehandelt. Das besagte ja nur: Steinmeier hatte nichts getan, was der politischen Linie Schröders widersprochen hätte. Und daraus folgt: Der Einsatz für Menschenrechte und gegen Folter gehörte nicht zur politischen Linie Schröders und seiner Regierung. Planvoll und brutal machte die Bildzeitung Stimmung gegen Kurnaz und verbreitete das Märchen vom gefährlichen »Bremer Taliban«. Die Kampagne gipfelte in der Frage: »Warum ist eigentlich die deutsche Regierung für diesen Türken zuständig?«
Nein, man konnte diesen rassistischen Schreibtischtätern nicht vorwerfen, die Leser über ihr Verständnis von den Grundlagen eines Rechtsstaates im Unklaren zu lassen. Da fehlte eigentlich nur noch der Hinweis: Man müsse ja nicht unbedingt Menschenrechte für Menschen reklamieren, die gar nicht als Menschen gelten. Wunschgemäß bekundete dann in Umfragen die Mehrzahl der Befragten, es sei richtig gewesen, Kurnaz nicht nach Deutschland zurückkommen zu lassen. Vermutlich, weil Kurnaz ein langhaariger, ernst dreinblickender und nicht sehr sympathisch wirkender Typ war. Hätte Kurnaz keinen wilden Bart, aber eine nette deutsche Freundin gehabt und einen süßen Dackelwelpen besessen, wäre die Mehrheit gewiss für ihn gewesen.
Logisch, dass Lallbacke Steinmeier versuchte, sich in Interviews zu rechtfertigen. Nur – die Verletzung der Rechte eines jungen Mannes relativieren zu wollen, indem man ihn dem Verdacht aussetzt, er könnte eventuell ja doch ein Terrorist gewesen sein – und das ausgerechnet im Brechmittel Bild –, das war eine moralische Bankrotterklärung.
Immerhin war dann in einer Fernseh-Nachrichtensendung die Formulierung zu hören, »Murat Kurnaz, der zu Unrecht in Guantánamo einsaß«. Gut gemeint – aber in einem Zwinger wie Guantánamo kann man gar nicht »zu Recht einsitzen«. Davon, dass zwecks Wiedergutmachung ein Hilfsangebot aus der sozialdemokratisch-grünen Administration Murat Kurnaz erreichte, wurde nichts bekannt.
Außenpolitisch tätig wurde eines Tages auch der SPD-Vorstandsfunktionär Kurt Beck, der auf einer Bildungsreise nach Afghanistan den Eindruck gewonnen hatte, es gäbe dort den einen oder anderen »gemäßigten Taliban«, mit dem man durchaus mal reden sollte.
Worüber denn? Und was ist ein »gemäßigter Taliban«? Ist das einer, der mittelfristig auch zu einer Koalition mit der CDU überredet werden kann? Der sonntags auch mal einen Schweinebraten isst? Der es okay findet, wenn man in deutschen Klassenzimmern neben den Heiland einen gekreuzigten Mohammed hängt?
Beck sollte diesen gemäßigten Taliban erst mal nach Rheinland-Pfalz einladen und ihn waschen und rasieren, dass ihm Hören und Sehen vergeht. Dann hat der Taliban fertig.
Der Europakorrespondent einer Tageszeitung in Kasachstan fasste seine Eindrücke von Deutschland folgendermaßen zusammen: Niemand könne bestreiten, dass es in der Bundesrepublik rechtsstaatliche Defizite gebe: Bei Großeinsätzen der Polizei in Deutschland komme es regelmäßig zu Übergriffen gegen Demonstranten. Versuche von Betroffenen, sich auf dem Rechtsweg Geltung zu verschaffen, verliefen fast immer im Sande. Berichte über rassistische Übergriffe und »ausländerfreie Zonen« in Ostdeutschland zeigten, dass die Minderheiten- und Migrantenpolitik in der Bundesrepublik noch in den Kinderschuhen stecke. Und Deutschland sei von einer strikten Trennung von Staat und Religion noch weit entfernt. Der Staat treibe die Kirchensteuer ein und
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