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Land der Erinnerung

Land der Erinnerung

Titel: Land der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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ruhig und trotzdem so betriebsam, auf eine stille, geziemende Weise. Sollte ich nicht auch sagen, auf eine ehrfürchtige Weise? So geht es in meiner Straße zu; aber es gibt in Paris Hunderte solcher Straßen. Eine stehende Armee von Künstlern ist an der Arbeit, die größte, mit der eine Stadt dieser Welt aufwarten kann. Diese unübersehbare Zahl von Männern und Frauen, die sich den Dingen des Geistes widmen, machen Paris zu dem, was es ist. Das ist es, was die Stadt belebt und sie zum Magneten der kulturellen Welt macht.

    Wie kann ich jemals die schlecht verhehlte Freude des New Yorkers vergessen, als er erfuhr, daß Paris gefallen war.

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    «Jetzt wird unsere Stadt das Kunstzentrum der Welt!» So sagte einer zum anderen. Mit jedem Künstler, der in ihrer Stadt Zuflucht suchte, schwoll ihr Stolz, ihre Gier und ihr Neid. «Bald haben wir alle hier!» Sie waren so überzeugt, daß die Künstler, wenn sie erst einmal hier und mit dem amerikanischen Virus geimpft wären, nie mehr in ihre Heimat zurückkehren würden.
    «Wir geben ihnen Dollars, Millionen von Dollars!» Als ob sie das fesseln müsse. «Paris ist erledigt. Europa ist tot!» Wie hämisch sie lachten, wie sie sich weideten an ihrem Glück. Ich war nie von etwas Schändlicherem Zeuge.

    Aber wir können sie nicht fesseln. Trotz drohenden Hungers und drohender Seuche kehren die europäischen Künstler heim. Es findet ein wahrer Exodus aus Amerika statt.
    Er wäre noch größer, wenn uns die Mittel zu Verfügung ständen, um der Nachfrage zu genügen.

    All unsere Verführungskünste haben sich als vergeblich erwiesen. Die Europäer kehren zu ihren Ruinen zurück.
    Sie bleiben nicht hier, um sich ein neues Leben aufzubauen.
    Sie ziehen ihren eigenen Lebensstil vor, auch wenn er Armut, Bitterkeit und Niederlage bedeutet. Es gehört dazu etwas mehr, etwas unendlich viel Besseres, etwas, das wir ganz offensichtlich nicht bieten können. Was dieses Etwas ist, fühlt man in Europa in jeder Minute. Auch wenn es nicht zu greifen ist, ist es doch wirklich. Man hat teil daran mit jedem Stück Brot, das man ißt, mit jedem Kaffee, den man auf dem Trottoir trinkt. Es liegt nicht nur in der Luft, es steckt sogar in den Steinen, im Erdboden selbst. Und Vitamine sind es nicht!

    Ich erinnere mich jener Armsessel in den billigen
    Hôtels, in denen zu wohnen ich zunächst gezwungen war und die ich später lieben lernte. Die Gebrechlichkeit jener Stühle!
    Von Drähten, Ledergurten und Nägeln zusammengehalten, waren sie das Symbol der Bewahrung. Die Surrealisten schwärmten für solche Gegenstände - und mit Recht. Sie ge-hören im seelischen Hausrat zu den intimsten Sehn-suchts-und Erinnerungsstücken. Sie sind tief in den Mauern der Identität eines jeden verborgen. Muß man diese Welt verlassen, dann bilden solche Sachvorstellungen die persönliche Ausstat-tung, mit der man sich seinen besonderen Platz in der Unterwelt herrichtet.

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    Wie mit den Armsesseln ging es mit allen Gegenständen, die man benutzte: sie wurden ein Teil von einem selbst, zum Phantasiegepäck, das man bei den Umzügen aus der Höl-le über das Fegefeuer ins Paradies mit sich schleppt. Wenn ich mich in meinem amerikanischen Heim umschaue, finde ich nicht einen einzigen Gegenstand, dem ich mich verbunden fühle. Nichts ist mir lieb geworden. Alles läßt sich ersetzen, ohne Mühe und ohne daß es einem leid täte. Das gleiche kann ich beinahe sogar von meinen Bekannten sagen. Beinahe. Es gibt einige wenige, ganz wenige nur, die ich nie vergessen werde. Doch alle übrigen - die werde ich mit den Möbeln, den Nippsachen, den Kuriositäten, den Tatsachen, den Zahlen, dem gewaltigen und unglaublichen Plunder zurücklassen, der das geistige und körperliche Mobiliar Amerikas ausmacht.

    Aber immer, wenn ich so spreche, hält mir ein Freund entgegen: «Du hast doch eine glückliche Kindheit gehabt!» Ja, das ist wahr, ich habe eine schöne Kindheit gehabt. Ich war so lange glücklich, bis mir bewußt wurde, in was für einer Welt ich lebte. Als ich sechzehn Jahre alt war, hatte sie mir bereits übel mitgespielt. Ich wandte mich nach innen, um der Häß-
    lichkeit und Gemeinheit, die mich umgab, zu entfliehen. Den ersten Hoffnungsschimmer, daß es vielleicht doch eine hellere, reichere und lebendigere Welt gäbe, sah ich, als ich eines Tages auf der Straße einem alten Freund begegnete, der eben aus Europa zurückgekehrt war. Diese Zufallsbegegnung entschied mein Schicksal. Von diesem Augenblick an

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