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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Ihr uns freundlicherweise Audienz gewähren.«

 
    2
    Cerise beugte sich über das teefarbene Wasser des Horseshoe Pond. Wie uralte Soldaten in Habachtstellung standen riesige Zypressen um sie herum, ihre knotigen Wurzeln im Wasser. Ganz still war es im Moor nie, aber nichts Außergewöhnliches unterbrach den vertrauten Chor der üblichen kleinen Geräusche: das Quaken einer Kröte irgendwo links, das Rascheln von Edge-Eichhörnchen im Laub über ihr, das anhaltende Trillern des Samenknackers …
    Sie krempelte ihre Jeans hoch, ging in die Hocke und verfiel in den gewohnten Singsang: »Wo ist Nellie? Wo ist mein gutes Mädchen? Nellie ist das beste Rolpie von allen. Hier, Nellie, Nellie … NELLIE !«
    Die Oberfläche des Sees lag vollkommen friedlich. Nicht der geringste Spritzer.
    Cerise seufzte. In einer Entfernung von fünfzehn Metern zierte ein von Krallenspuren gesäumter langer, feuchter Fleck den Morast. Nellies Spur. Mit fünfzehn war die Hatz von Rolpies durch den Sumpf noch ein Riesenspaß gewesen. Jetzt war sie vierundzwanzig, und mitten in der Nacht durchs Moor zu waten, im Wasser zu stolpern und bis zu den Knöcheln im Schlamm zu versinken, machte nicht mehr gar so viel Spaß. Sie hätte Besseres mit ihrer Zeit anzufangen gewusst. Zum Beispiel in ihrem schönen, warmen Bett zu schlafen.
    »Hier, Nellie! Hier, mein Mädchen! Du bist doch mein gutes Mädchen? Bist doch mein gutes Mädchen, Nellie! Oh, so ein hübsches Mädchen ist die Nellie! Oh, so ein fettes Mädchen! Nellie ist das fetteste, süßeste, dümmste Rolpie von allen! Ja, das ist sie!«
    Keine Antwort.
    Cerise sah auf. Hoch oben blinzelte ihr über dem Geflecht aus Zypressenzweigen und Moorranken ein kleines Stück blauer Himmel zu. »Warum tust du mir das an?«
    Der Himmel blieb ihr die Antwort schuldig. Das war immer so, trotzdem redete sie weiter mit ihm.
    Über ihrem Kopf echote ein Zwitschern, und ein weißer Klumpen Vogelkot plumpste aus dem Geäst. Cerise wich aus und schimpfte mit dem Himmel: »Uncool. Das ist so was von uncool.«
    Zeit für Notfallmaßnahmen. Cerise lehnte ihr Schwert gegen eine Zypresse, verankerte die Scheide im Dreck, verlagerte ihr Gewicht, zog den Rucksack von der Schulter und fischte ein in Unordnung geratenes Geschirr heraus. Eine Art Maulkorb für das Rolpie, mit einem zusätzlichen Riemen, der hinter dem Kopf befestigt wurde, damit das Biest sich nicht daraus befreien konnte. Cerise legte sich das Geschirr im Schlamm zurecht und nahm einen Dosenöffner und eine kleine Büchse aus dem Rucksack.
    Sie hielt die Büchse weit von sich und klopfte mit dem Dosenöffner darauf. Der Klang von Metall auf Metall hallte über den See. Nichts.
    »Na, was hab ich hier Feines? Tunfisch !«
    Fast hundert Meter von ihr entfernt kräuselte sich die Wasseroberfläche. Na also!
    »Hmm. Lecker. Tunfisch. Dann esse ich eben alles ganz alleine auf.« Sie setzte den Dosenöffner an, drückte und brach das Siegel.
    Da stieß ein gefleckter Kopf aus dem Wasser. Das Rolpie prüfte mit seiner von langen, dunklen Schnurrhaaren eingerahmten schwarzen Nase die Luft. Voller Vorfreude heftete sich der Blick großer, dunkler Augen auf die Büchse.
    Cerise drückte die Dose zusammen und ließ ein paar Tropfen Fischsaft ins Wasser fallen.
    Das Rolpie sauste durch die Fluten und warf sich ans Ufer. Bis zum Hals erinnerte das Tier an einen schlanken Seehund mit einem langen Schwanz und vier von Flossen gesäumten stämmigen, kurzen Beinen. Ab der Schulter streckte sich der Seehundleib zu einem anmutigen langen Hals, der in einen Otterkopf auslief.
    Cerise schüttelte die Dose. »Kopf.«
    Nellie leckte sich die schwarzen Lefzen und gab sich alle Mühe, hinreißend auszusehen.
    »Nellie. Kopf.«
    Das Rolpie senkte den Kopf. Cerise schob das Geschirr über das feuchte Maul und befestigte es. »Dafür wirst du bezahlen, weißt du.«
    Nellie stupste mit der schwarzen, feuchten Nase gegen ihre Schulter. Cerise fischte ein Stück Tunfisch aus der Dose und warf es dem Rolpie zu. Rasiermesserscharfe Zähne fuhren durch die Luft und schnappten nach dem Happen. Cerise hob ihr Schwert vom Boden auf und zog an der Leine. Das Rolpie kam bei Fuß und wackelte gemächlich durch den Morast.
    »Was, zum Teufel, sollte das? Mitten in der Nacht abzuhauen und auf Wanderschaft zu gehen? Hattest du keine Lust mehr, unsere Boote zu ziehen, und wolltest die Gelegenheit nutzen, dich mit den Mooralligatoren anzulegen?«
    Das Rolpie lief geduckt weiter und beobachtete

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