Landgericht
einem Konsul. Das war eine Mutmaßung, auf die er keine Erwiderung wußte. Er las im Philo-Atlas über Kuba:
Republik unter dem Protektorat der USA (Verf. v. 12. 6. 1935), bürgerliche Gleichstellung d. Ausländer m. d. Kubanern (Schutz d. Person, d. Eigentums, Genuß d. Grundrechte)
. Das hörte sich nicht schlecht an. Aber die bittere Pille folgte:
Visum, Kapital (mindestens $ 1.500.– pro Person), Landungsdepot USA – $ 500 vor d. Abreise bei Schiffahrtslinie zu hinterlegen.) Wenig Möglichkeiten, evt. Landw. (Plantagenbau) u. einige Handwerksberufe. Ein vor d. Einreise genehmigter Arbeits- od. Anstellungsvertrag ist zur Arbeitsaufnahme erforderlich
.
Kornitzer reiste nach Hamburg. Im Konsulat herrschte eine gemächliche Langsamkeit (Trägheit?), eine Haltung wie: Nichts wird so heiß gegessen wie gekocht. Es war gut, viel Zeit mitzubringen, Zeit im Überfluß, aber die Ungeduld drängte, bohrte, wollte Ergebnisse. Mit Kornitzer wartete ein Ehepaar, das eine Anwartschaft auf ein amerikanisches Visum hatte, aber durch die strenge Quotenregelung die Wartezeit bis zur Erteilung des Papiers in einem anderen Land, möglichst nicht weit von den USA, verbringen wollte. Es wartete auch eine junge Frau, die von Verwandten in den USA schwärmte. Sie hoffte, ihre versprengte Familie könnte ohne großen Kostenaufwand zu ihr nach Kuba kommen, und eines Tages bekäme sie ein Visum für die USA. Kornitzer hatte keine Verwandten außerhalb von Deutschland. Die Quotenregelung für die USA war unüberbrückbar hoch, so viele Menschen wollten in die USA. Und es gab Leute in der Warteschlange, die bekundeten, sie hätten kein Depot von 500 US-Dollar, aber sie seien in Not, in Not, flehende, händeringende Menschen, die dann auf den harten Stühlen des Konsulats herumrutschten, es war die reine Zeitverschwendung. Die Zulassung von Emigranten, das ahnte Kornitzer gleich, war eine Erwerbsmöglichkeit für den dürstenden kubanischen Staat und seine Beamten. Deshalb hatte Kornitzer für alle Fälle ein Kuvert vorbereitet, das Geld ist verloren und gleichzeitig gut angelegt, sagte er sich.
Er hatte wie alle Bittsteller im Vorraum schon ein Formular ausgefüllt, Name, Geburtsort, Beruf.
No escribir por debajo de esta línea
. Nicht unterhalb dieser Linie schreiben, das verstand er sofort, und er verstand es auch als eine Würdeform, sich keiner Unterschreitung schuldig zu machen. Was ist Ihr Beruf?, fragte dann doch der Konsul noch einmal, als Kornitzer vorgelassen wurde. Der Konsul war ein Mann mit einer glänzend geölten Haarpracht und schönen Manschetten, die akkurat aus den Ärmeln seines Sakkos blitzten. Ich bin Richter, antwortete Kornitzer, und darf in meinem Beruf nicht mehr arbeiten. Eine Schreibmaschine klapperte im Hintergrund, eine Frau mit einem bronzefarbenen Schwanenhals und einer Korallenkette darum, mehr sah er nicht vor ihr, bediente sie. Richter für …?, dem Konsul fehlte das deutsche Wort, und er machte eine rasche Bewegung mit der flachen rechten Hand, die wie Köpfen (oder Halsabschneiden?) aussah. Aber Kornitzer verstand, was er meinte. Nein, sagte er, mit Kriminellen habe ich nichts zu tun, ich habe in einem Zivilgericht gearbeitet. Ah, sagte der Konsul,
tribunal civil
. Kornitzer nickte. Der Konsul sah ihn sinnend an, etwas in ihm schien zu schmelzen, zu tropfen, Wachs in den Händen, butterweich, er zupfte an seinen Manschetten, und dann wiederholte er das Wort
zivil
, sprach es anders aus, aus dem Zett war etwas Pfeifendes, die Zungenspitze gegen die Schneidezähne Drängendes geworden.
Ssivil
. Kornitzer nickte, ja, Richter am Zivilgericht. Und dann verengten sich die Augen des Konsuls zu Schlitzen: Patente?, fragte er. Ja, Kornitzer hatte am Zivilgericht auch mit der Anerkennung von Patenten zu tun. Das schien dem Konsul Respekt einzuflößen.
Las patentes de Alemania
, sagte er und machte eine große Geste, einen armweiten langsamen Bogen,
las patentes
Deutschland,
las patentes
Kuba. Kornitzer antwortete geistesgegenwärtig: Meinen Sie, ob man Patente aus Deutschland nach Kuba übertragen könnte? Der Konsul antwortete nicht, in seinem Blick war etwas Lauerndes. Also beeilte sich Kornitzer zu sagen: Ja, man kann Patente transferieren (instinktiv wählte er das lateinischstämmige Wort, damit der Spanischsprechende ihn besser verstand), vorausgesetzt – weiter kam er nicht. Er wollte auf das Rechtsproblem hinweisen, auf den Schutz des Patents, aber er begriff sofort, hier ging es darum, den Schutz
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