Landgericht
(spezialisiert auf die Herstellung von grober Cervelatwurst), für San Salvador ein unverheirateter jüdischer Ingenieur für den Bau elektrischer Maschinen. Am größten waren noch die Chancen in dem von den Japanern gegründeten Operettenstaat Mandschukuo. Gesucht wurde dort für ein Kabarett ein jüdischer Regisseur, der gleichzeitig Ballettmeister sein mußte und mit der ersten Ballerina als Partner tanzen sollte, und ein Ballett von sechs bis acht Tänzerinnen, die imstande waren, auch als Solistinnen aufzutreten. Außerdem brauchte man dort ein jüdisches Damenorchester und eine Pianistin, die auch Akkordeon spielen konnte. Es war niederschmetternd, am besten wäre der Auswanderungswillige eine eierlegende Wollmilchsau. Einen Richter brauchte kein einziges Land. Besser, man wußte nicht, was der Paßbeamte des britischen Generalkonsulats in einem deprimierenden Situationsbericht geschrieben hatte: Die Juden weigerten sich einfach, ihn und seinen Kollegen überhaupt anzuhören; er fügte aber hinzu, daß er ihren Standpunkt (wenn man ihn überhaupt so nennen könnte oder eher den Tiefpunkt ihres Selbstwertgefühls) verstehen könne: …
it might be considered humane on our part not to interfere officially to prevent the Jews from choosing their own graveyards. They would rather die as free men in Shanghai than as slaves in Dachau
. Das war ein Dokument, das stolz gemacht hätte, wäre es zur gleichen Zeit (rechtzeitig) öffentlich gemacht worden.
Claire hatte vom Büro Grüber raunen gehört und fuhr in die Hortensienstraße 18 nach Lichterfelde. Dort hatte der Pfarrer Heinrich Grüber 1936 im Gemeindehaus eine Hilfsstelle für evangelische Rasseverfolgte gegründet. Aber das Haus war zu klein geworden, die Hilfsstelle zog um nach Berlin Mitte in die Straße An der Stechbahn. Claire nahm die S-Bahn, wechselte den Zug, stieg wieder um, ein blindes Hasten durch die Stadt, die sie kaum mehr wahrnahm. Dann fand sie die angegebene Adresse. Im Büro arbeiteten mehr als 35 Menschen, es gab Zweigstellen in anderen Städten. Wären Sie oder Ihr Mann doch früher gekommen, seufzte die Helferin, ein paar hektographierte Blätter wurden ihr in die Hand gedrückt, und dann der Nächste bitte. Früher, dachte Claire, hätten sich Protestanten gar nicht für ihren Mann eingesetzt. (1940 wurde Grübers Hilfsstelle von den Nationalsozialisten geschlossen, er selbst und seine Mitarbeiter wurden verhaftet und in ein Konzentrationslager verschleppt. Nach 1945 eröffnete er wieder eine Hilfsstelle: diesmal für ehemals evangelische Rassenverfolgte. Er war eine Art von ethischem Triebtäter. Ein Mann mit einem robusten Optimismus, ein stetig sprudelnder Quell der Hilfsbereitschaft, ein Glücksfall für die Hilfesuchenden, wenn sie denn in sein Konzept paßten.)
Im Büro Grüber erzählt man Claire auch, daß sich die Quäker zuständig fühlten für rassisch verfolgte Protestanten. Sie rennt in die überlaufene Geschäftsstelle der Quäker, geduldig wartet sie unter den Bittstellern, es bleibt ihr gar nichts anderes übrig als zu warten. Sie erzählt ihre Geschichte, die vielen anderen Geschichten gleicht. Man schreibt ihren Namen auf, den ihres Mannes, ihrer Kinder. Sie wird in ein anderes Büro geschickt. Nur Kinder!, heißt es hier. Wir bringen Kinder nach England! Und die Eltern?, fragt Claire. Die Dame ihr gegenüber schaut streng und gleichzeitig unglücklich: Wir haben nicht genug Mittel, heißt die Antwort.
Während der Novemberpogrome wurden 30.000 jüdische Männer verhaftet und fast alle in die Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau verschleppt. Auch vier Richter aus dem Kammergericht in Berlin waren dabei. Richard rannte, als der Schrecken sich gelegt hatte, in die Pariser Straße 44 zu den Verkaufsräumen des Philo Verlags und besorgte sich den neuen Philo-Atlas, der im Wettlauf gegen die Zensur entstanden war, begann bei den
ABC-Staaten
zu lesen, las über
Abessinien
, stockte schon bei dem Stichwort
Abmeldung, polizeiliche
. Er blätterte zu
Auswanderung
und las den Rat:
Bereitschaft, jede Arbeit anzufassen. Einwanderer muß in d. Regel weit unter seinem bisherigen Stand neuanfangen: dies hat auch nichts Entehrendes an sich. Intensive Bemühung um Sprachkenntnisse. Bereitschaft, sich v. d. Großstadt zu lösen und in weniger von Auswanderern überlaufenen Gegenden Existenz zu gründen. Nur unter solchen Bedingungen pflegt A. bes. in überseeische Länder zum Erfolg zu führen
. Der existenzielle
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