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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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auszuhöhlen, und es schwindelte ihm. Er wurde gefragt, ob er das geforderte Depot habe, das Kapital in Dollar, Kornitzer bejahte. Dann saß der Konsul da und sagte gar nichts, seelenruhig saß er da und schaute an Kornitzer vorbei aus dem Fenster. Zeit tropfte, und jetzt verstand Kornitzer, er mußte handeln, und er griff in die Innentasche seines Jacketts, nahm den Briefumschlag heraus und schob ihn über die Tischplatte. Eidechsenschnell schnappte die Hand des Konsuls nach dem Umschlag, ein Blick hinein genügte, und der Umschlag wurde in der Schreibtischschublade verstaut. Eine Person, sagte der Konsul dann, ein Visum für eine Person. Aber ich bin verheiratet, meine Frau hat ihre Firma verloren, weil sie mit einem Juden verheiratet ist, meine Kinder sind in England. Eine Person, wiederholte der Konsul mit ausdruckslosem Gesicht. Den Paß bitte, Kornitzer reichte seinen Paß, und dann klapperte die Schreibmaschine, und im Nu hatte er ein Visum nach Kuba, und er wußte nicht recht, ob er sich freuen solle über sein Visum oder empört sein, daß er für Claire kein Visum bekommen hatte. Wäre sie doch mit nach Hamburg gefahren! Als er sich bedankt und den Raum verlassen möchte, hält ihn der Konsul zurück.
Patentes
, sagt er noch einmal, und jetzt macht er keine weitausholende Geste der Übertragung, sondern ruckt den Kopf nur beiseite, was etwas verschwörerisch aussieht. Und dann schreibt er eine Adresse in Havanna auf einen Zettel, offenkundig die Adresse eines Mannes (
el abogado
), der liebend gerne Patente aus Deutschland in Kuba nutzen möchte.
    Kornitzer wagt kaum, Claire zu sagen, daß er nur ein Visum hat, eines für sich. Insgeheim macht er sich bittere Vorwürfe, er hätte wie ein Löwe kämpfen müssen, zwei Visa oder keines. (Er hätte möglicherweise auch mehr Geldscheine in den Umschlag stecken müssen, aber wie viele?) Claire nimmt es zu seiner Verwunderung nicht so schwer. Ich werde nachkommen. Ich werde alles tun, um nachzukommen. Es ist noch so viel zu regeln, Richard, der Haushalt aufzulösen, sich verabschieden, ich werde auch nach Hamburg fahren und werde ein Visum bekommen. Ihre Gewißheit beruhigt und verwundert ihn gleichzeitig. Er muß ihr sagen, daß der Konsul bestechlich ist und daß er ihn bestochen hat. Jetzt nicht, sagt er sich, ich will sie nicht in Verwirrung bringen, später werde ich es ihr sagen. Und dann ist „später“ irgendwann vorbei.
    In der Glühbirnenfarbrik erhält Kornitzer ein Zeugnis, in dem ihm bestätigt wird, er verließe
auf eigenen Wunsch
das Unternehmen. Und weiter:
Soweit es ihm möglich ist, sucht er sich in das Volksganze einzugliedern und den Platz auszufüllen, der ihm im neuen Reiche zugewiesen ist. In seinem Auftreten ist er bescheiden und zurückhaltend, er versteht seine Stellung als Nichtarier taktvoll zu wahren
. Gute Wünsche für seine Zukunft, wie es in Zeugnissen üblich war, gab man ihm nicht mit auf den Weg.
    Kornitzer reist nach Southampton, mit einem Dampfer der Hapag-Lloyd, der aus Hamburg gekommen ist, er ist ein Transitreisender, das macht seine Ausreise und die Zollabfertigung weniger schrecklich. (Andere Passagiere werden von den deutschen Zollbehörden bis in die letzten Intimitäten untersucht.) Nach Southampton hat Claires Schwester Vera für ihn telegraphisch Geld überwiesen, sein eigenes Geld, das er zur Ausreise nicht mitnehmen darf. Er preist Vera, die Vertraute in der Niederlage. Vera hat das Geld in ihrem Namen überwiesen, und er hat ihr im Gegenzug seine Lebensversicherung überschrieben. Im Falle, daß ihm etwas zustieße. Im Falle, daß Claire,
der jüdisch Versippten
, seine Lebensversicherung, wenn sie fällig würde, nicht mehr ausgezahlt würde. Das war klug ausgedacht, vorausschauend (wenn es überhaupt noch eine Zeit gab, in die man vorausschauen konnte, ohne in einen Abgrund zu schauen). Kornitzer wechselte nur einen kleinen Teil der Reichsmark in englische Pfund ein, nur so viel, daß es für einige Tage zum bescheidenen Leben reichte,
Toast und Pie
und ein dunkles, bitteres Bier am Abend, von dem er annahm, daß es satt macht. Er richtet sich in einer
Bed-and-Breakfast-Pension
ein. Er besucht die Kinder, umarmt sie und will sie gar nicht loslassen. Er hat für beide Spielzeug aus Deutschland mitgebracht, ein alleinreisender Herr, der mit einem Teddybären und einem hölzernen Segelschiff reist, sehr merkwürdig wirkt das bei der Zollkontrolle in Hamburg, wie eine kleine Perversion. (Später begreift er, es

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