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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Schreiben der Berliner Wiedergutmachungsbehörde seine Frau betreffend, er antwortete sehr lange nicht, und dann, als er antwortete, versuchte er, die Fassung zu wahren. „Auch nach meiner Auswanderung ist meine Frau auf das Grausamste verfolgt worden. Sie wurde von der Gestapo oft mißhandelt, es wurden Sexualverbrechen der Gestapo an ihr begangen, man hat ihr Geschäft völlig vernichtet, ihr die Berufsarbeit verboten, sie in der Evang. Bekenntniskirche verfolgt usw. usw. Das ist der ‚arische Haushalt‘, der in dieser Weise unbehelligt blieb.“ Er muß sich hinlegen nach diesem Briefentwurf, er löscht das Licht nicht, er ist zu aufgeregt. Das Licht wirkt auf ihn wie eine Verhörlampe. Claire hat einer solchen Lampe häufig gegenübergesessen, geblendet, aber nicht eingeschüchtert. Am nächsten Tag hämmert er wieder in die Schreibmaschine: „Betr. 1939 – Ich hatte damals gar kein Bareinkommen mehr. Die Firma meiner Frau war durch die Nazis zerstört, und ich stand vor der Auswanderung. Außer Hausrat und sonstigen Werten hatte ich die von meiner Mutter geerbten Wertpapiere, womit ich die Schulden beim Zusammenbruch der Firma meiner Frau decken und meine Auswanderung finanzieren mußte. Für alle in dieser Weise aufgewendeten Sachwerte fordere ich Restitution und Erstattung der verlorenen Erträgnisse und Zinsen.“ Man schreibt ihm zurück:
In der Rückerstattungssache Kornitzer ./. Deutsches Reich bitten wir um abschließende Stellungnahme und Stellung eines bestimmten Antrages. Bei welchen Banken unterhielten Sie Konten? Können noch Konto- und Depotauszüge vorgelegt werden?
    Gez. Dr. Bernstein LG. Direktor

Es gibt wieder eine Pause im Schriftwechsel, die zuerst wie ein Atemholen wirkt, aber das ist es nicht. Es ist eine Leere, ein Krater. „Überdies bin ich selbst mehrfach gesundheitlich behindert, und meine Frau ist nach Aufenthalten in mehreren Kliniken und einer Dauerpflegeabteilung im hiesigen Altenheim verstorben. Aus ihren Berichten ihren Widerstand und Leidensgang zu schildern, müßte mir Gelegenheit gegeben werden. Es war fürwahr ‚keine wilde Aktion‘. Es fand bei ihr eine Hausdurchsuchung statt, bei der durch die Gestapo die Schreibmaschine und der Schmuck, unter ihm ein kostbares Saphirarmband aus dem Erbe meiner Mutter, weggenommen wurden. Mit der Schreibmaschine z. B. waren die berühmten Erklärungen des Grafen von Galen durch meine Frau abgeschrieben und vervielfältigt worden.“ Claire hatte auch (oder gerade) nach Richards Emigration den Kontakt zum Büro Grüber aufrechterhalten, das protestantisch getauften Juden bei der Ausreise-Vorbereitung half. Es hatte ihr nichts genutzt, aber sie hatte die Empathie für andere, denen es noch nutzte, gebraucht, es war ein Teil von ihr selbst, der sie mit Richard verbunden hielt, und sie war weiter, auch als sie schon die elegante Wohnung in der Cicerostraße hatte aufgeben müssen, in die Hochmeisterkirche in Halensee zum Gottesdient gegangen. Sie hatte am Gemeindeleben teilgenommen, und dieses Gemeindeleben stand mit dem Rücken zur herrschenden Meinung, zur herrschenden Gewalt. Pfarrer Grüber hatte für sein Engagement im Konzentrationslager gebüßt. Mehr war dazu nicht zu sagen, und sie selbst war schweigsam gewesen über die Jahre ohne ihren Mann, und ihr Mann war ohnehin kein großer Erzähler, er wollte handeln, urteilen, er wollte Recht sprechen. Und jetzt feilschte er.
    Claires Nieren hatten versagt, sie war ihrem Leiden erlegen. Eine künstliche Niere war wegen ihres Krankheitsbildes nicht in Betracht gezogen worden. Das Gelagertwerden, das Gewendetwerden gegen das Wundsein, der Mangel an Tätigkeit war ihr nicht bekommen. Sie hatte ein Testament zu seinen Gunsten gemacht. Das hatte ihn gerührt, er hatte sie verstanden, während Selma und George ein Testament zu ihren Gunsten in seiner ganzen symbolischen Bedeutung vermutlich nicht verstanden hätten. Sie hätten den Mangel bemerkt, sie wären vielleicht enttäuscht gewesen. Oder ihre schlechte Meinung von der deutschen Mutter hätte sich verfestigt. Richard erbte ja nichts wirklich Bedeutendes, aber er erbte Claires Anspruch auf Wiedergutmachung, aus dem bisher nichts Substantielles erfolgt war, doch gleichwohl war er da: ein Menetekel. Zwei Jahre nach ihrem Tod werden ihm aus den beiden Lebensversicherungen zu ihren Gunsten 700,10 DM überwiesen. Aus seiner eigenen Lebensversicherung waren einmal 71,36 DM überwiesen worden, ein anderes Mal 98,11 DM.
    Jetzt konnte ihm sein

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