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Landkarten des Lebens

Landkarten des Lebens

Titel: Landkarten des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gundula u Waelde Gause
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im weiteren Sinn zu einer gewissen Standfestigkeit.
    In meiner Kindheit zogen wir häufig um. Mein Vater war Jurist bei der Deutschen Bahn, die ihn von Berlin nach Hannover, Fulda, Stuttgart, 1975 nach Mainz und schließlich nach Hamburg schickte. Ich erinnere mich an die Umzüge, das Verabschieden von alten Freunden, das nicht immer leichte Finden neuer Freunde, das Aufgeben und Verlassen und das Neudefinieren von Wegen und Strukturen.
    Auch mein Vater musste als junger Mensch seine Heimat verlassen. Als seine Heimatstadt Insterburg 1944 bei einem britischen Bombenangriff erheblich zerstört und im Januar 1945 von der Sowjetunion besetzt wurde, wurde die Zukunft der Familie dort immer ungewisser, zumal auch mein Großvater kurz nach dem 11. Geburtstag meines Vaters fiel. Mein Vater hat seinen Vater, seitdem er sich an seinem Geburtstag von ihm verabschiedet hatte, nicht mehr wieder gesehen. Durch den Krieg veränderte sich für meinen Vater die Landkarte seines Lebens dramatisch. Er verlor sein Zuhause, seine Heimat. Mit Mutter, Großmutter und zwei Geschwistern floh er nach Berlin. Ihm hatte man das noch vorhandene Geld in den Kindermantel eingenäht. Außer dem, was man am Leibe und in zwei Koffern tragen konnte, hatte die Familie nichts mehr. Tausende ereilte das gleiche Schicksal. Vertrieben und entwurzelt mussten viele von Neuem beginnen.
    Die Reise 2005 an den Geburtsort meines Vaters war ein sehr wichtiger Weg für mich. Ich wollte das Haus und den Garten in Insterburg sehen und die Fotos aus den 30er-Jahren mit der Realität abgleichen, verstehen, wie schlimm der Verlust der Heimat für einen Menschen sein kann. Die Geschichte unserer Eltern prägt uns. Ihre Geschichte ist auch unsere Geschichte. Ohne Herkunft, keine Zukunft ist ein häufig gebrauchtes Bild, das ich allerdings als hilfreich empfinde bei allem Nachdenken über Spuren meines Lebens. Die Geschichte unserer Eltern ist natürlich durch besondere historische Begleitumstände bedingt, wie den Krieg, den Verlust der Heimat und das Leben in dem geteilten Deutschland. Innerhalb dieser Bahnen haben sie ihre Entscheidungen gefällt und Spuren gelegt.
    Ab Mitte der 80er-Jahre gingen meine Eltern getrennte Wege. Mein Vater heiratete ein zweites Mal und lebte über 20 Jahre in Hamburg. Vor einiger Zeit hatte er die Möglichkeit, in meine unmittelbare Nachbarschaft zu ziehen. Er hat den Sprung gewagt, der ihm als „altem Ostpreußen“ nicht leichtfiel. Mit 74 Jahren zogen er und seine Frau noch einmal um, in meine Nähe – eine bewegende Spur des Lebens.





Rainer Wälde
Topografie: Ich gehe über Berg und Tal

    Höhepunkte und Tiefpunkte unseres Lebens – auch Jahre, nachdem wir sie erlebt und durchlitten haben, erinnern wir uns an sie und können sie uns anschauen wie einen Film, der vor unserem inneren Auge abläuft. Die vielen kleinen Alltagsdinge, tägliche Abläufe und Routinen verblassen dagegen schnell. Die Höhen und Tiefen aber bleiben. In meinem Leben gibt es einen Höhepunkt, der mir außergewöhnlich präsent ist, so, als wäre es gerade erst gestern gewesen, dass ich an einem wunderbaren Morgen meine Stadt von oben anschauen durfte. Aber der Reihe nach.
    Der Marktplatz von Weilburg, einer kleinen Stadt an der Lahn, an einem Spätsommertag im August: Vor der Kulisse des Renaissanceschlosses bereiten ein paar Menschen einen Ballon zum Start vor. Seine bunte Hülle liegt noch schlaff auf dem Kopfsteinpflaster. Der Brenner faucht laut. Selbst hinter der Absperrung, hinter der ich mich zusammen mit den anderen Zuschauern des Weilburger Ballonfestivals dränge, spüre ich noch die Hitze des Feuers. Die Szenerie ist eingehüllt in das goldene Licht der schon tief stehenden Sonne. Die Stimmung: fröhlich, entspannt, ein bisschen aufgekratzt, die Menschen lachen und freuen sich auf den Start des Ballons. Eine halbe Stunde später ist es so weit: Der Ballon ist mit heißer Luft gefüllt und steht über unseren Köpfen. Es sieht fast so aus, als zerre er an den Halteseilen, weil er es kaum erwarten kann, in den mittlerweile rot gefärbten Abendhimmel zu entschweben. Jetzt wird es doch noch ein bisschen hektisch: Die vier Ballonfahrer klettern schnell in den Korb, Kommandos werden gerufen, sie machen die Leinen los – und uns Zuschauern bleibt nichts anderes, als die Köpfe in den Nacken zu legen und dem Ballon hinterherzustaunen, als er seine Fahrt in die milden Lüfte aufnimmt.
    In diesem Moment ist für mich ganz klar: Das will ich auch erleben!

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