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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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wurde der Klub aufgelöst. Man traf sich jedoch weiterhin jeden zweiten Freitag im Adler. Viel später, als ich schon nicht mehr in Guldenberg lebte, hörte ich, dass es wieder einen eingetragenen Kegelklub gebe, der nachträglich in den Karnevalsverein Grün-Gold Guldenberg umbenannt worden sei. Vater und die anderen Mitglieder des Vereins bekamen jedenfalls damals keine Umsiedler eingewiesen, oder sie waren nur kurze Zeit bei ihnen untergebracht und wurden bald anderweitig versorgt, so dass wir unsere Zimmer behalten durften, was mir recht war, denn von den anderen Familien hörte ich schlimme Geschichten über die Flüchtlinge. Sie würden Strom klauen und Lebensmittel aus dem Eisschrank und dem Keller und wären nicht besser als die Zigeuner. Und auch, wer nicht solche unangenehmen Erlebnisse hatte, wusste nicht viel Gutes von ihnen zu erzählen. Denn da die Wohnungen und Einfamilienhäuser nicht für solche Einquartierungengebaut waren, gab es fast jeden Tag böse Worte zwischen den Wohnungsinhabern und den eingewiesenen Umsiedlern, und wenn es in einer Kneipe oder auf der Kirmes eine Schlägerei gab, so konnte man darauf wetten, dass Einheimische sich mit Umsiedlern geprügelt hatten. Die Vertriebenen galten in der Stadt nicht als richtige Deutsche, hinter ihrem Rücken beschimpfte man sie als Polacken, oder man sagte, es seien die anderen Russen, womit man sie von den richtigen Russen, den Besatzungssoldaten, unterscheiden wollte.
    Und Bernhard war eben ein Polacke. In unserer Klasse nannten wir ihn so, freilich nur dann, wenn er nicht im Raum war, denn keiner von uns verspürte die geringste Lust, sich mit ihm anzulegen.
    Ein Jahr nachdem Bernhards Vater seine Werkstatt in der Tabakscheune eingerichtet hatte, brannte sie an einem Sonnabend ab. Um sechs Uhr, unmittelbar nachdem die Kirchenglocken geläutet hatten, begann die Sirene auf dem Spritzenturm aufzujaulen. Minutenlang konnte man in der ganzen Stadt das auf- und abschwellende Heulen hören, bis alle Männer der Freiwilligen Feuerwehr vor der Feuerwehrgarage versammelt waren. Sie holten den alten, rot lackierten Feuerwehrwagen aus der Halle neben dem Spritzenturm, zogen sich im Laufen die schwarzen Jacken mit den silbernen Abzeichen an und setzten ihre Helme auf. Die Helme hatten einen ledernen Nackenschutz, sie waren bei der Gründung der Wehr vor zwei Jahren von der Stadt neu angeschafft worden und bisher nie zum richtigen Einsatz gekommen, denn seit Kriegsende hatte es nicht einen einzigen Brand gegeben, so als wäre alles, was brennbar ist, schon während des kurzen einstündigen Bombardements der Stadt im allerletzten Kriegsjahr verbrannt. Bei den Übungen, die die Männer der Feuerwehr an einigen Wochenenden in den Sommermonaten durchführten, sie löschten dann selbstgelegte kleinere Brände auf dem Gelände derstillgelegten Panzerfabrik, trugen sie ihre schwarzen Mützen oder die alten Helme, die aus der Vorkriegszeit stammten.
    Als die Feuerwehr vom Anger fuhr, rannten dreißig Kinder ihr hinterher. Einige waren mit ihren Fahrrädern gekommen und versuchten, mit dem Auto mitzuhalten. Zwei ältere Jungen hatten sich weit über ihre Lenker gebeugt und hielten sich an der Spritzenrolle fest, die am Heck des Fahrzeugs befestigt war. Sie ließen sich von dem roten Auto durch die Stadt ziehen, obwohl die Feuerwehrleute, die auf den seitlichen Bänken des offenen Fahrzeugs saßen, ihnen drohten und sogar mit den Holzgriffen ihrer Äxte nach den an die Rolle geklammerten Händen der Schüler schlugen.
    Es hatte sich rasch herumgesprochen, dass Griesels Tabakscheune brannte, und ich lief mit zwei Schulkameraden in Richtung Niedermühle, wo direkt hinter dem Ortseingangsschild die Scheune stand. Als wir ankamen, stand der Feuerwehrwagen in einigem Abstand von der Brandstätte, die Schläuche waren ausgerollt, die tragbare Motorpumpe stand zwischen der lichterloh brennenden Scheune und dem Fluss. Vier Feuerwehrleute standen an den zwei Spritzen, sie hielten sich in beträchtlicher Entfernung und lenkten die Wasserstrahlen scheinbar wahllos in die Flammen. Zwei der Feuerwehrleute scheuchten immerzu die Kinder zurück und brüllten laut. Herr Keller, der Hauptmann der Wehr, der im Rathaus als Pförtner und Hausmeister beschäftigt war, verbot seinen Männern, dichter an die Flammen heranzugehen.
    »Das ist Holz«, sagte er zu jedem, der sich ihm näherte, »trockenes Holz. Das muss man runterbrennen lassen.«
    Er wiederholte es, als ein Polizist auf dem

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