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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Fahrrad erschien und sich, das Rad in der Hand, neben ihm aufstellte. Die noch nie benutzten Helme der Feuerwehrleute leuchteten in den Flammen rötlich auf. Herr Keller ging mit zweien seiner Männer und gefolgt von dem Polizisten, der sein Radschob, um die Scheune herum. Die Kinder, die sich ihnen anschließen wollten, schickten sie barsch zurück.
    Das Dach brannte in voller Breite, und aus den Lüftungsschlitzen, die sich oberhalb des großen doppelflügligen Tors um die ganze Scheune zogen, quoll dichter dunkler Rauch, gelegentlich loderte eine vereinzelte rote Flamme hervor. Der Rauch stieg fast kerzengerade ein paar Meter hoch und zog dann langsam in Richtung Stadt. Ab und zu, wenn ein Dachbalken herunterfiel, hörte man es in der Scheune rumpeln, und es regnete Funken durch die Öffnungsschlitze, die mit dem dunklen Qualm aufstiegen und als leuchtender Regen zu Boden fielen. Als Herr Keller seinen Rundgang beendet hatte, befahl er den Männern, die Löscharbeiten an der Scheune zu unterbrechen und stattdessen die Wiese zwischen der brennenden Scheune und dem Feld mit der Wintergerste zu wässern, um ein Übergreifen der Flammen zu verhindern.
    Als der einarmige Herr Haber mit seinem Sohn bei der Scheune erschien und die Feuerwehrleute sah, die mit zwei Schläuchen das Flusswasser gleichmäßig über die Wiese verteilten, schrie er die Feuerwehrleute an, wieso sie nicht seine Werkstatt retten wollten, statt das ganze Wasser nutzlos über die Wiese zu schütten. Bevor einer der Männer ihm antworten konnte, brach der Dachstuhl krachend und unter einem riesigen Funkenwirbel in sich zusammen. Sekunden später fielen die brennenden Bretter der Seitenwände ins Innere der Scheune und auf die ausgefahrene, lehmige Zufahrt. Kleine glühende Holzstücke flogen einige Meter durch die Luft und landeten vor den Füßen der zuschauenden Feuerwehrleute, die zurückwichen und die hinter ihnen stehenden Kinder verscheuchten.
    Herr Haber ließ sich nicht zurückdrängen, er starrte stumm und stumpf auf das Feuer, das seinen ganzen kleinen Besitz hinwegraffte. Herr Keller erklärte dem Tischler, weshalb sie nicht die Wasserrohre in die Scheune hielten, sondernnur vorsorglich ein Übergreifen der Flammen auf die trockene Wiese und das Kornfeld zu verhindern suchten. Als er seine Erklärung beendet hatte, fügte der Feuerwehrhauptmann hinzu: »Da wollte wohl einer ganz schnell Feierabend haben und hat vergessen, eine Maschine abzuschalten. Oder hatten Sie eine Heizsonne? Die Hälfte aller Wohnungsbrände in unserem Bezirk wird durch Heizsonnen verursacht. Fragen Sie mich nicht, was ich da alles schon zu sehen bekommen habe. Grauenvoll! Heizsonnen, die sollte man verbieten.«
    Der Tischler schüttelte stumm den Kopf, ohne den Blick von der Scheune zu wenden. Mittlerweile waren es fast hundert Zuschauer geworden, die sich hinter den Feuerwehrleuten angesammelt hatten, vor allem Kinder. Alle standen in Gruppen beieinander, sahen interessiert zu der brennenden Scheune und sprachen über die Arbeit der Feuerwehrleute, die unbeirrt die Wiese wässerten und sich um den altersschwachen Motor der Pumpe bemühten.
    Eine Stunde später brach die letzte Wand in einem Funkenwirbel in sich zusammen, von der Scheune blieb allein ein hoher, glühender Ascheberg, aus dem einzelne geschwärzte Eisenteile herausragten. Auf Geheiß von Herrn Keller lenkten die Feuerwehrleute den Wasserstrahl der beiden Spritzrohre dort hinein. Die Asche zischte laut auf, wenn der Wasserstrahl sie traf, und verwandelte sich in einen schmutzig grauen Brei. Der Polizist, der nach seinem Auftauchen bald wieder verschwunden war, kam nun mit einem Kollegen im Auto zurück. Sie stiegen aus, winkten Herrn Haber zu sich heran und befragten ihn, wobei sie sich über die Motorhaube ihres Wagens beugten, auf die sie ihre kunstledernen Umhängetaschen gelegt hatten. Einer von ihnen schrieb in ein Schulheft langsam und Wort für Wort die Antworten, die ihnen der Tischler gab. Mit den beiden Freunden ging ich zu den Polizisten, wir stellten uns nicht zu nahe, um nicht verjagt zu werden, schauten zu der verbranntenScheune und bemühten uns, kein Wort der Befragung von Tischler Haber zu verpassen.
    Der fremde Polizist, der mit dem Auto aus der Kreisstadt gekommen war, ließ sich von Herrn Haber alle Maschinen nennen, die in der Scheune gestanden hatten und elektrisch oder mit einem Dieselmotor betrieben worden waren. Als sich Herr Haber erneut über die Feuerwehr aufregte, die

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