Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
Raum. Hagen schrie, taumelte gegen mich, jemand stieß mich um, sodass ich geblendet zu Boden ging.
Etwas klackte und zischte, etwas klapperte. Hagen schrie. Ich konnte nichts sehen.
„Sie sind ein schlechter Mensch, Herr mit dem französischen Namen. Aber alles Französische ist schlecht. Wahrscheinlich wird der Diener des Herrn auch Ihrem Dasein auf Erden bald ein Ende bereiten“, hörte ich die Frau keifen.
Tue niemals etwas aus Wut!
Meine Augen reibend versuchte ich, mehr als bunte Flecken im Halbdunkel zu erahnen, aber meine Augen wollten sich nur langsam wieder an die Dunkelheit gewöhnen und derweil lieber schmerzen.
Wir hörten, wie sich die Witwe Conradi aus dem Staub machte, und konnten nichts dagegen tun.
Am schlimmsten hatte es Marius erwischt, er sah augenscheinlich noch viel länger schlecht als wir Menschen.
Als unsere Augen wieder einigermaßen ihren Dienst verrichteten, verbanden wir zunächst Hagens Ohr. Als wir geblendet aneinander gerumpelt waren, hatte sich der Bolzen von Marias Armbrust gelöst und Hagen eine Scharte ins Ohr gerissen. Mehr jedoch zum Glück nicht. Da die Spitze mit Salz behandelt gewesen war, musste die Verletzung abscheulich brennen.
Maria begann, alle Lampen im Haus zu entzünden.
„So“, sagte sie. „Wonach suchen wir?“
„Bücher“, brummte ich, in Gedanken bei der entflohenen Witwe. „Was immer sie auch weiß, sie weiß es hoffentlich nur aus Büchern.“
Bücher sollten wir auch tatsächlich finden in jenem Haus, das ein Sammelsurium von Kuriositäten war. Bücher über Bücher.
Personal war schon seit Jahren keines mehr vorhanden, die irre Frau Conradi hatte es nach dem Tod ihres Mannes allesamt entlassen. Dafür fanden wir Pökelfleisch in der Speisekammer, um den Hund im Hof zu besänftigen. Den Kommentar des Katers, wie dämlich sich eben jene Gattung Vierbeiner doch anstelle, da sie sich ja schon mit einem leckeren Happen bestechen ließe, konterte Hagen damit, dass eine Katze ja offensichtlich überhaupt nicht zu Zwecken der Bewachung zu gebrauchen war.
Nachdem wir eine Bibelsammlung, einen Heiligenkalender, einige silberne Kelche und anderen, irgendwie heilig anmutenden Krempel nach und nach entdeckt hatten, fand Maria schließlich die Tür zum alten Arbeitszimmer des verstorbenen Ernst Conradi und somit auch zu zwei Wänden voller Bücherregale.
„Welches davon suchen wir?“, fragte sie in einem Anflug, der beinahe in Sarkasmus zu münden schien, angesichts der vielen hundert oder gar tausend Bände in den Regalen.
Eine gute Frage.
Während Hagen und Marius andernorts das Haus auf der Suche nach Indizien auf den Kopf stellten, sagte ich „Danke“ zu Maria.
„Wofür?“, fragte sie.
„Dafür, dass du hier bist ... mit uns, meine ich ...“
„Aber ...“
„Sag nichts. Belass es dabei, wenn du magst. Ich habe lediglich zugegeben, dass mir deine Gesellschaft gefällt.“
„So, meine Gesellschaft gefällt dir also?“, hakte sie nach.
Jetzt hatte ich zu viel gesagt. Wahrscheinlich war es ein Fehler gewesen. Der falsche Ort, die falsche Zeit. Vielleicht noch nicht einmal das richtige Leben.
Doch nun war es einerlei, wenn nicht ich das Eis zwischen der Jägerin mit dem wilden schwarzen Haar und den Männerhosen und mir brach, dann tat es vielleicht überhaupt niemand.
„Na ja, du ...“
Ich stotterte. Konnte es denn nach alle den Jahren noch so schwer sein, einer Frau ein einfaches Gefühl von Zuneigung zu gestehen? Wahrscheinlich war ich aus der Übung. Eventuell hatte ich auch nicht mehr üben wollen, seit jenen verhängnisvollen Tagen irgendwo in den Alpen.
„Ja?“
Ich suchte immer noch nach einem Wort.
„Du strahlst irgendwie Sicherheit aus“, schlug ich ein Ende meines gestammelten Satzanfangs vor, doch Maria sah mich nur schief an.
„Versuch’s noch mal!“, schlug sie vor.
„Maria“, holte ich aus. „Ich weiß nicht, ob dies der richtige Zeitpunkt dafür ist. Da draußen läuft eine Irre herum. Vielleicht auch mehrere, und sie trachten mir und vielleicht noch vielen anderen nach dem Leben.“
Doch Maria trat einfach so auf mich zu.
„Vielleicht“, sagte sie. „Vielleicht sind die schwersten Herzen am Ende auch einfach bloß diejenigen, die am wenigsten mehr einer Verletzung bedürfen?“
Der Kuss, den sie mir auf die Lippen zauberte, war flüchtig, wie ein lauer Wind in einer Sommernacht, und er war zart, so unsagbar zart, trotz all des Hartgesottenen, das diese Frau nach außen
Weitere Kostenlose Bücher