Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
undurchsichtiger Gegenspieler gewesen ... und hätte ich gewusst, wohin uns all das führen würde, hätte ich möglicherweise meine Freunde gesammelt, und wir hätten uns Hals über Kopf davongemacht – vielleicht in den warmen Süden oder den rauen Osten?
Ich rief mir die Zeilen des Briefes ins Gedächtnis.
Werter Lucien, werter Salandar, werter Hagen,
ich schicke euch diesen Brief hinterher, da ihr aufgrund eurer Reise an die Lahn sicherlich einige Zeit unter Beschlag genommen werdet (und wegen eures hoffentlich gut bezahlten Auftrages – ihr wisst, was an Miete fällig ist. Ihr genießt in begrenztem Umfang unser Vertrauen, auch wenn wir euch eigentlich drei völlig verwirrte Armleuchter nennen müssten).
Folgendes trug sich zu: Gestern kam ein Kurier hier an mit einem von prominenter Stelle versiegelten Brief für Salandar. Ich weiß nicht, um welche Art von Post es sich handelt, jedoch hoffe ich inständig, dass ihr nicht irgendwo den Kopf in der Schlinge habt, ansonsten könnt ihr euch Unterkunft und Werkstatt demnächst gern an anderer Stätte suchen.
Auch wenn es euch ein entnervtes Stöhnen entlocken sollte, Philipp bietet natürlich nach wie vor seine Hilfe bei all euren Unternehmungen an. Ich fürchte, ihr habt in irgendeiner mit Absinth durchzechten Nacht das ein oder andere Wort zu viel über eure Arbeit verloren. Nun ja, zumindest kann ich euch versichern, dass er momentan in puncto sinnvoller Beschäftigung in besten Händen ist. Er soll Nachforschungen für einen der ortsansässigen Händler bezüglich der Umtriebe seiner Tochter anstellen.
Mit besten Wünschen,
Elsa
Ich hatte den kurzen Schauer, der mich während des Lesens unwillkürlich überkommen hatte, einfach abgetan. Vielleicht hatte ich ihn nicht einmal richtig bemerkt oder ihn mit unserer gänzlich unsympathischen Vermieterin in Verbindung gebracht.
... mit einem von prominenter Stelle versiegelten Brief. Dieser halbe Satz hätte mich eigentlich warnen müssen.
Aber es war schon spät gewesen, und wir hatten zu tun ...
Das Erstaunen ergriff mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich wieder einmal Zeuge dessen wurde, wie die Geräuschkulisse um mich herum anzuschwellen schien, sobald sich die Finsternis der Nacht über die Welt senkte. Unendlich viele Tiere waren nur des Nachts aktiv, raschelten durch das Unterholz, sandten verirrte Rufe durch den Wald oder gingen auf die Jagd. Darüber hinaus schien es sich so zu verhalten, wie man stets von den Blinden behauptete: Schwand die Fähigkeit zu sehen, schärften sich Gehör und Geruchssinn über das übliche Maß hinaus.
Die Luft war feucht vom späten Tau, und es roch nach frisch geschnittenem Gras. Ein Duft, der die Menschen glücklich zu machen schien, verlieh er dem Geist doch einen Hauch jener unbeschwerten, kindlichen Leichtigkeit. Doch so gut ein paar tiefe Atemzüge taten, so sehr schwang in ihnen auch das nahe Ende des Sommers mit. Die Menschen trugen Holz zusammen, hatten schon längst wieder damit begonnen, Vorräte anzulegen. Der Krieg und der eiskalte Sommer vor einigen Jahren hatten sie vorsichtiger und misstrauischer werden lassen. Bitterkeit lag allzu oft in der Luft.
Schade nur, dass sich in diese Nacht außer dem betörenden Aroma von Gras, Heu und spätem Sommer auch der Gestank des Todes mischen würde. Zumindest, wenn alles gut verlief. Schließlich waren wir zu eben jenem Zwecke hier.
Ich hoffte nur, dass am Ende nicht die falschen Leichname von Verderbnis künden würden.
Flackernde Laternen erhellten den Hof notdürftig, während ich hinter dem Karren, der neben dem Misthaufen stand, Stellung bezog. Mit den angenehmen Düften war es also vorbei. Dafür half der Gestank wenigstens, meine Anwesenheit zu tarnen. Wenn unser Feind zu viele Menschen witterte, würde er trotz seines aufbrausenden und unvorsichtigen Temperaments vielleicht misstrauisch werden, und unser Plan würde sich in Luft auflösen. Die letzten beiden Nächte hatte ich beim Hühnerstall verbracht, dort, wo sich Hagen diese Nacht in Position gebracht hatte. Sowohl ihm als auch mir war nach einer Abwechslung zumute gewesen.
Bauer Lennarts war auch beim Hühnerstall, und ich hoffte inständig, dass der grobschlächtige Landwirt behände genug war, um sich zur Wehr zu setzen. Ausreichend Mut besaß er, das stellte niemand infrage. Doch er war müde. Im Gegensatz zu uns, die wir uns tagsüber von den Nachtwachen ausschlafen konnten, musste er dafür sorgen, dass die Ernte eingefahren wurde. Umso
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