Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
Frage gestellt haben, was der Mensch mit einem Monster gemein hatte.
Wann fing das Monster an zu leben, wann hörte der Mensch in einem auf? Machte uns der Krieg zu Monstern, oder waren wir es bereits, und der Krieg ließ nur unser wahres Gesicht zum Vorschein kommen?
Was bewegte uns, auf andere Menschen loszugehen? Zorn? Oder Angst?
Am Ende einer traumatisierenden Karriere in zwei Heeren hallte mir immer noch der Satz meines ersten ausbildenden Offiziers nach: Tue niemals etwas aus Wut!
Tue niemals etwas aus Wut.
Tue niemals etwas aus Wut ...
Ich trat die Tür ein, und der Hund im Hof begann zu bellen. Es war mir einerlei. Wenn hier jemand aktiv in den ganzen Spuk von Leyen involviert war, dann war es ein Krieg, den wir hier führten, und ich war ein Kommandant. Ich würde nicht zulassen, dass meinen Leuten oder jemand Unbeteiligtem etwas widerfuhr.
Vielleicht war es ja ein Privileg, Monster zu sein.
Hagen trat mit gezückter Pistole und flackernder Öllampe an meine Seite.
Die Wände des ausladenden Flures der Villa Conradi waren übersät mit christlicher Symbolik aller Art. Kruzifixe hingen dicht gestaffelt neben Rosenkränzen und allerlei Ikonen. Einige Dinge erschlossen sich uns nicht beim ersten Hinsehen, aber später überlegte ich, dass es Reliquien aller Art gewesen sein mochten. Hagen und ich hätten mit dem ganzen Klimbim an unseren Körpern sehr gut hier hineingepasst.
„Was ist das hier für ein unheimliches Kabinett?“, hauchte Hagen neben meinem Ohr in die Schatten, während Maria ihre eigene Funzel mithilfe eines Dochts entzündete.
„Hallo?“, tönte bang eine Frauenstimme von oben.
Am Rande der Treppe, die nach oben führte, erschien flackernd der Schein einer Kerze. Eine Frau im weißen Nachthemd folgte ihr. „Was wollen Sie?“
„Mit Ihnen reden“, antwortete ich so gelassen, wie mein wallendes Blut es mir ermöglichte. „Keine Angst, ich will kein Geld und keinen Schmuck, ich will nur reden.“
Vorsichtig kam die Frau die Treppe herunter, und als sie in den Lichtschein unserer Lampen trat, stockte mir der Atem. Ich wusste plötzlich, woher ich sie kannte, und es verwirrte mich, da ich den Sinn noch nicht erfasste. Es war dieselbe Frau, die sich so todesmutig neben den Geist der ermordeten Frau des Geigenbauers gestellt hatte, während Mechthild Ehlert langsam mit einer Violinensaite erdrosselt worden war, und ein Kruzifix vor sich haltend lateinische Gebete zur Abwehr gerufen hatte.
Theresa Conradi, Witwe eines Holzhändlers.
„Sie“, brachte ich nur hervor.
Theresa Conradi sah mich einen Augenblick lang über ihren Kerzenhalter hinweg an. Es war schwer zu sagen, ob diese Augen Wahn in sich trugen oder nur die Suche nach Trost.
Sicher war sie nicht als hässlich zu bezeichnen, obwohl sie ihre besten Jahre schon hinter sich hatte. Jenseits der Vierzig war sie gewiss schon, und noch schien ihr Haar nichts von seinem dunklen Glanz verloren zu haben. Doch es mochte im Lichterschein auch täuschen.
„Was wollen Sie?“, fragte sie mich ein zweites Mal, energischer nun.
Ich versuchte, so nüchtern wie möglich zu klingen.
„Wir wollen mit Ihnen über die Morde der letzten Wochen und Monate sprechen.“
„Was haben Sie mir zu sagen?“
„Die Frage lautet vielmehr: Was haben Sie mir zu sagen? Was haben Sie angestellt, um diese Menschen aus dem Weg zu räumen? Wie haben Sie sie getötet?“
Leichte Verachtung spiegelte sich in ihrem schwach erleuchteten Antlitz wider.
„Ich habe gar niemanden getötet“, stellte sie fest. „Der Diener des Herrn hat diejenigen, deren Verhalten ihm missfiel, mit einem frühen Tod gestraft.“
„Das können Sie unmöglich ernst meinen“, entfuhr es Marius, der sich um Marias Stiefel herumgedrückt hatte.
Einen kurzen Augenblick lang entglitten Theresa Conradi die Gesichtszüge, als sie den Kater sah.
„Da“, rief sie auf Marius zeigend. „Das Tier hat gesprochen. Gehören Sie alle etwa auch zum Satan?“
„Mitnichten“, fuhr ich dazwischen. „Niemand gehört hier zum Satan! Auch nicht die armen Leute, denen Sie das Lebenslicht ausgeblasen haben.“
„Doch. Sicher.“
Sie wurde blass und ließ sich rückwärts auf die Treppenstufen sinken.
„Die Diener des Herrn bedürfen manchmal unserer Hilfe, um sich einen Weg zu verschaffen“, stotterte sie wie von Sinnen.
„Blödsinn“, blaffte ich, doch weiter kam ich nicht. Ohne Vorwarnung blies Theresa Conradi etwas in die Kerzenflamme, und ein greller Blitz durchfuhr den
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