Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
was sie sagt. Und … na ja … es wird ja auch mal Zeit, dass ihr meine italienische Familie richtig kennenlernt.«
Das dreizehnte Zimmer
DAS NEUE HOTELZIMMER war im Augenblick nur eine staubige Gerümpelkammer ganz am Ende eines düsteren, fensterlosen Flurs. Auch im Zimmer drang kein Licht durch die geschlossenen Fensterläden aus Holz. Im Funzellicht einer nackten, staubigen Glühbirne konnte man erkennen, dass der ganze Raum mit Truhen, Gemälden und Spiegeln vollgestopft war – Familienerbstücke aus vergangenen Jahrhunderten. Sogar ein altes Fischernetz lag darin herum. Eine Staubwolke vernebelte die Luft, als Sara es in den Flur warf.
Kristina und Jan hatten ihre Aufgabe bekommen: Sie rollten die Gemälde auf dem Skateboard zur Treppe oder zum Aufzug und brachten sie in Nonnas Wohnzimmer. Es machte keinen Spaß, aber nach dem mickrigen Frühstück, das nur aus einem harten flachen Keks und Kakao bestanden hatte, wäre es dämlich gewesen, das Mittagessen aufs Spiel zu setzen.
Da der Aufzug zu schmal war, mussten sie die größten Bilder über die Marmortreppe in den dritten Stock schleppen. Und als wäre das noch nicht blöd genug, hatte Nonna es sich auch noch in den Kopf gesetzt, aus der ganzen Aktion eine Unterrichtsstunde über die Familiengeschichte zu machen. »Das ist Giacomo, der Alchimist und Apotheker.« Sie deutete auf das Bild eines schielenden Mannes mit Doppelkinn. »Er war berühmt für sein Skorpionöl und für andere Wundermittel.« Der nächste Typ erinnerte an Captain Jack Sparrow aus Fluch der Karibik , allerdings mit Augenklappe. »Battiste Einauge«, erklärte Nonna. »Er liebte das Glücksspiel. Hat das ganze Geld der Familie in einer Nacht verspielt und in der nächsten wiedergewonnen.« Dann gab es noch Lukrezia, die Wahnsinnige, Asdrubale, den Astrologen, und drei Bilder von blassen Männern mit komischen Mützen, die allesamt aussahen wie dem Familienalbum der Addams Family entsprungen.
»Mit denen bist vielleicht du verwandt, nicht ich!«, flüsterte Kristina ihrem Bruder zu und kassierte dafür einen Stoß mit dem Ellenbogen.
»Diese drei hier waren Dogen«, erklärte Nonna. »Ihr wisst doch, was ein Doge ist? Er wurde als Staatsoberhaupt gewählt und herrschte dann ein paar Jahre über Venedig. Wir haben also sehr ehrenwerte Vorfahren. Seht ihr die Kappen? Sie waren so etwas wie eine Krone, Zeichen der Dogenwürde.«
»Von wegen, die sehen aus wie Schlumpfmützen«, murmelte Jan. Bei diesem Gedanken hüpfte sofort wieder ein Glucksen in Kristinas Kehle.
Wenig später reichte Sara endlich das letzte Gemälde nach draußen. Es war das verstaubteste von allen und zeigte eine Dame in einem Festkleid. Stolz aufgerichtet stand sie vor einem Fenster. Kerzenlicht ließ ihren Schmuck und das prächtig bestickte Kleid schimmern. Sie hatte dunkle Locken wie Sara und ein kühles, ein wenig hochmütiges Lächeln. Hinter ihr glitzerte der Canal Grande im Mondlicht. »Und das ist Violetta«, erklärte Nonna, die heruntergekommen war, voller Stolz. »Sie war die Frau des Dogen Dandolo, also eine Dogaressa. «
»Na, jetzt wissen wir wenigstens, woher Nonnas Lila-Tick kommt«, raunte Jan Kristina zu. Es stimmte: Schon damals waren die Vorhänge violett gewesen – und auch das Festkleid der Dame leuchtete in dieser Farbe, dazu der Amethyst-Schmuck, die Tapeten, die Vase auf dem Tisch – und auch die Blumen darin. Veilchen.
»Man nannte sie auch Violetta Aquana«, fuhr Nonna fort. »Ihr gehörte eine ganze Bootsflotte. Vor einer großen Sturmflut hat sie viele Menschen gerettet. Als hätte sie geahnt, was geschehen würde, schickte sie alles, was ein Ruder hatte, los, um die Leute aufs Festland zu bringen. Selbst als die Flut einsetzte, stand Violetta noch ganz allein auf dem Dach und dirigierte mit einer Fackel die letzten Boote auf dem Kanal. Nur sie selbst hat diese Nacht nicht überlebt.«
Jan und Kristina horchten auf. Endlich mal eine spannende Geschichte!
»Ist sie vom Dach gefallen und ertrunken?«, wollte Jan wissen.
Nonna schüttelte den Kopf. »Oh nein. Sie stürzte auf der Treppe. Zumindest ist es so überliefert.«
Jan riss die Augen auf. »Hier? Auf der Hoteltreppe?«
Nonna nickte gewichtig. »Niemand weiß, was in jener Nacht wirklich geschehen ist. Jedenfalls wurde Violetta morgens auf der dreizehnten Stufe liegend gefunden – tot. In ihrer starren Hand hielt sie einen Rosenzweig. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr schönes rabenschwarzes Haar war in dieser
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