Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Lebenseinstellungen fest in der libertären Ethik der Hippie -Ära verwurzelt, paßte weder ins Klischee der cleveren Geschäftsfrau noch der strengen »Puffmutter«. Die Mehrheit der Frauen, denen der Laden seinen exklusiven Ruf verdankt, hätten sich weder auf dem Cover von Playboy noch von Cosmopolitan wiedergefunden. Sie sahen aus wie du und ich, d. h. sie waren weder blutjung, gertenschlank noch umwerfend schön. Alle arbeiteten aus eigenem Antrieb und weitgehend selbstbestimmt. Einige hatten bürgerliche Berufe aufgegeben, um in diesem verrufenen und verkannten Metier nicht nur Geld zu verdienen, sondern ihre eigenen sexuellen Neigungen auszuleben. Sie sahen sich selbst nicht als Opfer, sondern als Akteure, die Sexarbeit als bewußt gewählte Tätigkeit mit vielen Vor-und wenigen Nachteilen und die Gäste als Kunden (oder Freunde), die sich sexuell und emotional meist gut steuern ließen. In der kleinen Parallelwelt dieses Berliner Wohnungsbordells bildeten feministisch inspiriertes Bewußtsein und prostitutiver Sex keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern eine faszinierende, avantgardistische Einheit, eine gelebte, wenn auch nicht konfliktfreie Utopie.
Diese Beobachtung war der Motor für die Entstehung dieses Buches, die ebenfalls alles andere als konfliktfrei ablief. Was die Frauen erzählten, schien mir nach zwei Jahrzehnten Interview-Erfahrung stimmig und glaubwürdig. Doch mit dieser Einschätzung stand ich besonders vor dem juristischen Ende der Sittenwidrigkeit ziemlich allein da. Innen-und Außenwahrnehmung zum Thema Prostitution klafften auch in meinem relativ aufgeschlossenen sozialen Umfeld völlig auseinander. Wann und wo immer ich die positiven Eindrücke meines ersten Bordellbesuchs zum besten gab, wiegten die Männer bedenklich den Kopf, und die Frauen riefen »Also ich könnte das nicht!« - als ob ich ihnen gerade einen Berufswechsel nahegelegt hätte. Obwohl niemand außer mir und den Ladies im Bordell die unmittelbare Interview-Situation miterlebt hatte, war sich jede und jeder sicher, daß meine »happy hookers« mir und sich selbst etwas in die Tasche gelogen hatten. Daß sich Frauen in der Prostitution gut aufgehoben fühlten, durfte nicht sein. Diese Möglichkeit schien auf beunruhigende Weise in Frage zu stellen, was für das festgefügte Selbstbild bürgerlicherer Zeitgenossen identitätsstiftend ist: die Suche nach einer erfüllenden Liebesbeziehung, sexueller Treue, einer aufwärtsmobilen Karriere in den angeseheneren Segmenten des Arbeitsmarktes, einem respektablen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft.
So gerät man unter Druck, seine nicht gerade konsensfähige Position mit Fakten und Argumenten zu untermauern. Der inspirative Mehrwert meines ersten Bordellbesuchs zog ca. 140 weitere Befragungen und Gespräche mit Prostituierten und Kunden, Expertinnen aus Projekten, Sozial-und Sexualwis-senschaftlern nach sich. Das Resultat von drei Jahren Recherche und Auseinandersetzung mit sexuellen Tauschgeschäften gibt den Eindrücken meines ersten Bordellbesuchs recht. Daß die Prostitution in vielen Segmenten freiwillig, selbstbestimmt und gleichberechtigt abläuft, ist weder Fiktion noch Schönfärberei, sondern alltägliche Realität. Doch in den von Kritikern und Gegnern der Prostitution dominierten Debatten finden »happy hookers«, anders als ihre weniger privilegierten Kolleginnen, kaum Gehör. Daran hat auch das neue Gesetz wenig geändert.
Offiziell ist die Prostitution nicht mehr sittenwidrig.
Sexarbeiterinnen können ihre Honorare einklagen und sich wie andere Arbeitnehmerinnen sozialversichern lassen. Doch die Buchstaben des Gesetzes werden eine Weile brauchen, um die Köpfe und Herzen der Menschen zu erreichen. Weil zwischen neuen Realitäten und alten Vorurteilen oft Welten liegen, wird es Zeit für eine Neubewertung der Prostitution, die neben der Ehe die bedeutendste soziale Institution ist, in der sich Männer und Frauen sexuell begegnen. Deshalb ist es überfällig, sie nicht länger als problembeladenen Lebensentwurf zu dämonisieren, sondern als sexualisierten Lebensstil anzuerkennen, als Recht des einzelnen auf Freiheit und Selbstverwirklichung.
Grund genug also, in diesem Buch 70 Klischees rund um die Prostitution »gegen den Strich« zu bürsten. Grund genug, die Sexarbeit in ihrem neuen emanzipatorischen Gewand mit den Möglichkeiten und Grenzen des klassischen Arbeitsmarktes und unserer brüchigen Beziehungskultur zu konfrontieren. Grund genug, nach ihrer
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