Lass mich in Dein Herz
dem Chefarzt.
Ginas innere Anspannung löste sich. Der Alptraum war vorbei, Valentin festgenommen. In ihrer aller Leben würde nun bald wieder der normale Alltag einkehren.
Im selben Moment wurde Gina klar, was das noch bedeutete. Auch Andrea würde, sobald sie genesen war, ihr altes Leben wieder aufnehmen. Zu dem sie, Gina, nicht gehörte.
Denk nicht daran! Nicht jetzt!
Jetzt zählt nur eines: dass Andrea gesund wird.
~*~*~*~
Z wei Tage später stand Gina an Andreas Krankenbett. Eine Vielzahl Schläuche und Kabel verbanden Andrea immer noch mit den verschiedensten Apparaten. Sie war wach, aber sehr schwach. Schon bei der Begrüßung bemerkte Gina, dass Andrea das Reden schwerfiel.
Gina erzählte von den Ereignissen der vergangenen beiden Tage. »Stefan ist der Held der Woche. Die Zeitungen überschlagen sich förmlich, um ein Interview mit ihm zu bekommen. Hoffentlich steigt ihm die Berühmtheit nicht zu Kopf.« Sie lachte.
Andrea lächelte schwach zurück.
»Na, jedenfalls ist nicht mehr die Rede von der drogensüchtigen Richterin, die ihren Dealer erschossen hat.« Gina grinste. »Davon will keiner mehr etwas wissen. Valentins Psyche wird jetzt in den Schlagzeilen von allen Seiten beleuchtet. Sowohl von echten Experten als auch von solchen, die sich selbst dazu erklären.«
Gina erzählte dieses und jenes. Andrea hörte ihr zu. Sie genoss es, Ginas Stimme zu hören, in ihr Gesicht zu sehen und dabei an nichts zu denken.
Nach etwa zwanzig Minuten stand Gina auf. »So, dann gehe ich mal wieder. Ist sowieso besser, wenn ich nicht so lange bleibe. Der Arzt sagte, du brauchst viel Ruhe. Ich habe ihn gefragt, ob ich dir etwas zu lesen mitbringen kann, aber er meinte, das strengt dich noch zu sehr an.«
»Warte«, bat Andrea. Die Augen wurden ihr schon wieder schwer. Ja, es wäre wirklich zu anstrengend für sie gewesen, zu lesen. Sie blieb ja kaum eine halbe Stunde am Stück wach. Aber sie wollte nicht, dass Gina schon ging. »Bleib bitte.«
Gina setzte sich. Andrea seufzte dankbar. Ginas Gegenwart tat ihr gut. Einen Menschen neben sich zu wissen, der ihr vertraut war. Nicht nur Schwestern und Ärzte. Sicher, sie alle waren sehr freundlich, blieben aber doch Fremde. In Ginas Nähe konnte sie sich entspannen. Trotz der Ansammlung beunruhigender Apparate um sich herum.
Das war aber nicht der einzige Grund, warum Andrea nicht wollte, dass Gina ging. Es gab noch einen zweiten. Ginas Besuch unterschied sich von dem Carmens, die bereits heute Morgen dagewesen war, in einer wesentlichen Sache. Nämlich in der Frage, wann sie Gina wiedersehen würde. Und vor allem, wie lange noch.
Als Carmen sich verabschiedet hatte, hatte Andrea ihr ruhig nachgesehen. Carmen würde morgen wiederkommen. Und übermorgen und die anderen Tage. Und bei ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus wäre Carmen ebenso da wie den Rest ihres Lebens.
Auch Gina würde morgen wiederkommen, nahm sie an, und übermorgen. Aber was war dann? Würden die Abstände zwischen ihren Besuchen länger werden? Und was war nach dem Krankenhausaufenthalt? Wie würde ihr Verhältnis zueinander dann aussehen?
Vor zwei Tagen, als Andrea aus der Narkose erwacht war, hatte ihr erster Gedanke Gina gegolten. Das überraschte Andrea selbst am meisten, denn es lag sehr lange zurück, dass eine Frau – abgesehen von Carmen, aber die zählte in diesem Fall ja nicht mit – ihr Denken derart beherrschte. So sehr, dass sie, nach all dem, was vorgefallen war, all dem Terror, der Angst und Gefahr, nicht einfach nur dachte: Gott sei Dank, es ist vorbei. Nein! Sie wachte auf und ihre lückenhaften Erinnerungen versetzten sie in Sorge um Gina.
Andrea erinnerte sich, dass Gina in den Club gekommen war und mit Valentin in einen Kampf geriet. War Gina dabei verletzt worden? Oder war noch Schlimmeres geschehen? Da sie anfangs zu schwach war, um zu sprechen, quälte Andrea diese Sorge mehrere Stunden. Bis sie einen der Ärzte fragen konnte und der ihr sagte, dass alle anderen Beteiligten wohlauf waren.
Doch die Angst, die Andrea während dieser Stunden der Ungewissheit gequält hatte, der Gedanke, Gina könne etwas zugestoßen sein, schnürte ihr die Kehle zu.
Ja, gestand Andrea sich an diesem Punkt endlich ein. Ich liebe Gina.
Dennoch blieb eine Frage offen: War diese Liebe stark genug, um nicht immer wieder von Zweifeln befallen und auf Dauer von diesen zernagt zu werden?
Darüber nachzudenken hatte sie in den nächsten Tagen alle Zeit der Welt.
21.
A ndrea erwartete
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