Lassiters riskantes Spiel
durch den Kopf. Mit einem Satz sprang er vom Tisch in die Menge und spurtete zur Theke. »Aus dem Weg!« Er schlug mit dem Gewehrkolben um sich, trat und drosch sich den Weg frei.
Durch die hintere Tür gelangte er in einen Gang. Lewellyn und seine Hure rannten auf eine offene Tür zu, Lewellyn vorweg.
Das Office! Sie wollten zum Office!
»Stehen bleiben!«, schrie Lassiter. Die Angst um Rebecca machte ihn wahnsinnig. Er feuerte auf die Beine des Paares. Holly ging zu Boden, Lewellyn warf sich über die Schwelle ins Office.
Zwei Schritte und Lassiter konnte sich nach dem Mädchen bücken. »Mein Bein«, jammerte es. »Du hast mir ins Bein geschossen, du Arschloch!«
Lassiter packte sie, riss sie hoch und vor seine Brust. »Ich hab das Mädchen, Lewellyn!«, brüllte er. »Ich komme!«
Sie heulte und schlug um sich, doch Lassiter hatte ihr den linken Arm unter die Kehle gehebelt, zog ihren Rücken an seine Brust und zeigte sich im Türrahmen des Office.
Einen Atemzug lang sah er sie alle drei: Wilbur in der Hocke vor seinem Schreibtisch, die Rechte in der Schublade, als suchte er etwas darin. Rebecca reglos in einer Blutlache, und neben ihr, auf den Knien, der Sheriff. Ihn hatte Lassiter als allerletzten auf der Rechnung gehabt.
Harrisons weißes Hemd unter seinem teuren Frack war ein roter Lappen und weiter nichts mehr. Er hielt seinen Revolver mit beiden Händen fest, schwankte und versuchte auf Lassiter zu zielen.
Und dann drückte er ab.
In Lassiter Arm stieß das Mädchen einen spitzen Schrei aus und erschlaffte. Lassiter hielt sie fest und zog den Bügel des Gewehrs durch. Er dachte nichts mehr, er fühlte nichts. Kaum nahm er wahr, wie Harrisons Stirn zersplitterte und der schwere Mann nach rechts gegen den Schreibtisch kippte.
Lassiters Blick klebte nur an Rebecca, nur an ihr. Hinter ihm, im Pokersaloon, krachten Schüsse, schrien Menschen, gingen Gläser, Fenster und Möbel zu Bruch – er hörte es nicht. »Rebecca«, flüsterte er.
»Lass Holly los, oder ich schieße!« Wilbur J. Lewellyns Hand zitterte. Er hielt einen Revolver fest, der aussah, als wäre er noch nie benutzt worden. Den richtete er über Harrisons Leiche hinweg auf Rebecca.
»Gib sie frei!«, fauchte Wilbur J. Lewellyn. »Lass die Waffe fallen!« Sah er denn nicht, dass seine Hure tot war? Er musste wahnsinnig geworden sein. »Weg mit dem Gewehr oder ich töte deine Frau!« Sah er denn nicht, dass sich der Kronleuchter seines Office im Weiß von Rebeccas toten Augen spiegelte?
Lassiter richtete das Gewehr des Texaners auf ihn. Ja, der Mann war ganz gewiss wahnsinnig geworden. Er drückte ab und zerschoss Wilbur J. Lewellyn die Waffenhand. Er drückte ein zweites Mal ab und zerschoss dem Schreienden die Hüfte. Er drückte ein drittes Mal ab und zerschoss ihm das Knie.
Dann erst ließ er die tote Holly fallen und warf sich in der Blutlache neben Rebeccas Körper auf die Knie. Er schloss seine Arme um ihre Leiche, hob sie hoch und drückte sie an sich. »Rebecca.«
***
Später stand plötzlich der Kartenhai in der Tür. In seiner Rechten hing ein Revolver mit ziemlich langem Lauf. Ein Mann mit einer Arzttasche drängte sich an ihm vorbei, ging vor dem stöhnenden Wilbur J. Lewellyn in die Hocke und öffnete seine Tasche.
Lassiter sah alles wie durch trübes Glas. Den schwer verletzten Lewellyn, den Arzt an seiner Seite, Danny Colesville und die vielen Gesichter, die hinter seinen Schultern auftauchten und unbedingt einen Blick auf das Blutbad werfen wollten, das im Office des Pokersalons angerichtet worden war.
Colesville kam zu Lassiter, ging neben ihm in die Hocke. Der alte Lotse folgte ihm, und Turner, der Eisenbahningenieur. Der Lotse hatte Tränen in den Augen, Turners Mund stand weit offen. Jede Spur von Trauer war aus seinem zerknautschten Gesicht verschwunden.
Colesville legte Lassiter den Arm um die Schulter, tut mir leid«, sagte er. »Tut mir wirklich verdammt leid.«
***
Ein paar Tage danach beerdigten sie Rebecca McCain auf dem Friedhof von Washington, gar nicht weit weg vom Grab ihres Mannes. Ein lutherischer Pfarrer hielt eine Ansprache, die wohl gut gewesen sein musste, denn viele Leute unter der Trauergemeinde heulten Rotz und Wasser.
Lassiter bekam kaum einen Satz davon mit. In seiner Brust herrschte eine ungeheure Leere.
Neben ihm stand Danny Colesville an Rebeccas offenem Grab. Schon seit dem scheußlichen Sonntag im Pokersaloon von Alexandria wich der Pokerprofi nicht mehr von Lassiters Seite. Der
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