Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Heathens-Coolie, aber da hat er eins vergessen. Ich bin nicht blöd. Und die auch nicht.«
Ich wies ihn nicht daraufhin, dass er eben zwei Dinge aufgelistet hatte, die Claudel übersehen hatte.
»Jetzt wissen Sie, warum er Sie so mag.«
Dorsey beugte sich so nahe an das Glas, dass ich den Schmutz in den Poren seiner Nase sehen konnte.
»Es ist eine verdammte Lüge. Ich habe Cherokee nicht umgebracht.«
Ich schaute in das Gesicht, das nur Zentimeter von meinem entfernt war, und einen Herzschlag lang entglitt ihm die Maske. In diesem Augenblick sah ich Angst und Unsicherheit. Und noch etwas anderes war in diesen verbitterten, dunklen Augen. Ich sah Aufrichtigkeit. Dann kniff er die Augen zusammen, und die Dreistigkeit war wieder da.
»Mal ganz unverblümt. Sie mögen die Art nicht, wie meine Freunde und ich Geschäfte machen. Okay. Ich mag Ihre selbstgerechte Scheiße nicht. Aber eins müssen Sie wissen. Wenn Sie mich weiter in die Mangel nehmen, geht Ihnen derjenige, der Cherokee umgebracht hat, durch die Lappen.«
»Ist das alles, was Sie mir sagen können, Mr. Dorsey?«
Sein Blick bohrte sich in meine Augen, und ich konnte seinen Hass beinahe riechen.
»Kann schon sein, dass ich noch mehr weiß«, sagte er und inspizierte seine Fingernägel mit gespielter Nonchalance.
»Worüber?«
»Ich sag Ihnen gar nichts. Aber Cherokee ist nicht die einzige Leiche, dies in letzter Zeit in die Nachrichten geschafft hat.«
Mein Verstand raste. Redete er von Spinne Marcotte? Kannte er die Identität von Emily Anne Toussaints Mördern?
Bevor ich etwas fragen konnte, lehnte Dorsey sich wieder zurück, und ein amüsiertes Lächeln kräuselte seine Mundwinkel.
»Gibt es etwas Lustiges, das Sie mir mitteilen wollen?«
Dorsey fuhr sich mit der Hand unter dem Kinn entlang, und sein Ziegenbart umspielte seine Finger. Er hielt sich den Hörer ans andere Ohr.
»Sagen Sie dem Pickelarsch, er soll mich in Ruhe lassen.«
Ich stand auf und wollte gehen, doch seine nächsten Worte ließen mich erstarren.
»Arbeiten Sie mit mir zusammen, und ich gebe Ihnen das Mädchen.«
»Was für ein Mädchen?«, fragte ich mit bemüht gelassener Stimme.
»Das süße kleine Ding, das Sie ausgegraben haben.«
Ich starrte ihn an, und vor Wut pochte mein Herz.
»Sagen Sie mir, was Sie wissen!«, zischte ich.
»Kommen wir ins Geschäft?« Obwohl er die kleinen Rattenzähne bleckte, waren seine Augen so dunkel wie Dantes neunter Höllenkreis.
»Sie lügen.«
Er hob die Augenbrauen und die Innenfläche seiner freien Hand.
»Aber Wahrheit ist der Grundstein meines Lebens.«
»Verhökern Sie sie woanders, Dorsey.«
Zitternd vor Wut knallte ich den Hörer auf die Gabel, wirbelte herum und drückte auf den Knopf. Dorseys spöttischen Nachtrag konnte ich nicht verstehen, aber ich sah sein Gesicht, als ich am Wärter vorbeistürmte. Er grinste nicht. Er würde sich wieder melden.
Die Rückfahrt dauerte fast eine Stunde. Wegen eines Unfalls war die 720 in östlicher Richtung bis auf eine einzige Spur gesperrt, und im Ville-Marie-Tunnel staute sich der Verkehr kilometerweit. Als ich merkte, was los war, konnte ich nicht mehr umkehren, und so blieb mir nichts anderes übrig, als zusammen mit den anderen frustrierten Autofahrern vorwärts zu kriechen. Der Betontunnel blockierte den Radioempfang, ich hatte deshalb nicht einmal Ablenkung. In meinem Kopf gehörte die Bühne allein Dorsey.
Er war nervös gewesen wie die Kuh vorm Schlachthaus, aber konnte er trotzdem unschuldig sein?
Ich erinnerte mich an seine Augen und an diesen Augenblick, als der Schleier fiel.
Ich legte den Gang ein, zockelte ein Stück, schaltete wieder in den Leerlauf.
War Claudel auf der falschen Spur?
Wäre nicht das erste Mal.
Ich sah zu, wie sich ein Krankenwagen auf der rechten Standspur vorbeidrückte. Sein Blinklicht zuckte über die Tunnelwand.
Was würde Claudel sagen, wenn er erfuhr, dass ich im Gefängnis gewesen war?
Die Antwort war einfach.
Ich trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad.
Wusste Dorsey wirklich etwas über Savannah Osprey?
Ich schaltete wieder und fuhr eine Autolänge vorwärts.
Oder war er nur einer der Gauner, die Märchen erzählen, um ihren Arsch zu retten?
Keine Antwort.
Ich sah Dorseys Gesicht, eine Studie in verächtlichem Machismo und asozialem Hohn.
Der Mann war abstoßend. Dennoch war ich mir sicher, dass ich in diesem Sekundenbruchteil die Wahrheit gesehen hatte. Konnte ich ihm glauben? Musste ich ihm glauben? Wenn er
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