Lauter reizende alte Damen
warten Sie, sieben Jahre, acht? Ja, schon mehr als acht Jahre.« Sie seufzte. »Man verliert allen Kontakt. Die einzigen Verwandten, die ich noch habe, leben im Ausland.«
»Wie traurig für Sie.«
»Ach, es ist nicht so schlimm. Ich hatte keine enge Bindung an sie, ich hab sie nicht einmal gut gekannt. Ich war krank – sehr krank sogar –, und ich war ganz allein. Sie hielten es für das Beste, mich in einem Heim unterzubringen. Und ich hatte Glück. Hier sind alle so freundlich und rücksichtsvoll. Und der Garten ist so besonders schön. Ich weiß selbst, dass es nicht gut für mich ist, allein zu leben. Ich bin manchmal recht verwirrt, wissen Sie.« Sie tippte sich an die Stirn. »Ich bringe alles durcheinander und erinnere mich nicht mehr richtig an das, was gewesen ist.«
»Das tut mir Leid«, sagte Tuppence. »Aber irgendetwas muss wohl jeder Mensch haben, nicht wahr?«
»Ja, und manche Krankheiten sind so schmerzhaft. Deshalb meine ich, dass es nicht so schlimm ist, wenn man ab und zu ein wenig wirr ist. Auf jeden Fall tut das nicht weh.«
»Nein, da haben Sie Recht.«
Ein Mädchen in einem weißen Kittel kam mit Kaffee und Plätzchen herein. Sie stellte das Tablett neben Tuppence ab. »Miss Packard dachte, dass Sie sicher gern eine Tasse Kaffee trinken möchten.«
»Oh, vielen Dank«, sagte Tuppence.
Das Mädchen ging wieder hinaus, und Mrs Lancaster sagte: »Na, sehen Sie nun, wie aufmerksam man hier ist?«
»Ja, wirklich.«
Tuppence schenkte sich Kaffee ein. Die beiden Frauen schwiegen eine Weile. Tuppence bot die Plätzchen an, aber Mrs Lancaster schüttelte den Kopf. »Nein, danke, meine Liebe. Ich trinke nur die Milch.« Sie stellte das leere Glas auf den Tisch und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Tuppence dachte, dass dies vielleicht die Zeit für ihr kleines Morgenschläfchen sei, und schwieg. Mrs Lancaster schüttelte aber plötzlich die Müdigkeit ab. Sie öffnete die Augen, blickte Tuppence an und sagte: »Ich sehe, dass Sie den Kamin betrachten.«
»Ach, hab ich das?« fragte Tuppence etwas verwundert.
»Ja. Ich hab schon überlegt…« Sie beugte sich vor und fragte leise: »Entschuldigen Sie, aber war es Ihr armes Kind?«
Tuppence zögerte konsterniert. »Ich – nein, ich glaube nicht.«
»Ich dachte nur, dass Sie vielleicht aus diesem Grund gekommen sind. Jemand müsste nämlich kommen. Vielleicht kommen sie auch noch. Nur, weil Sie den Kamin so angesehen haben… Da ist es nämlich. Hinter der Kaminplatte.«
»Ach«, stotterte Tuppence. »Ach so. Da?«
»Immer zur selben Zeit«, flüsterte Mrs Lancaster. Sie richtete den Blick auf die Kaminuhr. Tuppence tat es ebenfalls. »Zehn nach elf«, sagte die alte Dame. »Zehn nach elf. Ja, an jedem Vormittag zur selben Zeit.« Sie seufzte. »Die Leute haben es nicht verstanden. Ich habe ihnen gesagt, was ich wusste… Aber sie wollten mir nicht glauben!«
Tuppence war sehr erleichtert, als in diesem Augenblick die Tür aufging und Tommy hereinkam. Sie sprang auf.
»Ich bin fertig. Wir können gehen.« Sie trat zur Tür, drehte sich halb um und sagte: »Auf Wiedersehen, Mrs Lancaster.« Als sie in die Diele kamen, fragte sie Tommy: »Wie ist es denn gegangen?«
»Sobald du draußen warst, ganz glänzend.«
»Ich scheine ihr nicht sonderlich zu liegen, was? Eigentlich ist das ein Kompliment für mich.«
»Wieso?«
»In meinem Alter«, sagte Tuppence, »und wo ich so ehrbar und ordentlich und langweilig aussehe, gefällt es mir, wenn mich jemand für einen verführerischen Vamp hält.«
Tommy lachte und nahm zärtlich ihren Arm. »Und mit wem hast du herumgeschäkert? Die alte Dame sah reizend aus.«
»Sie ist reizend«, sagte Tuppence, »sehr sogar, aber leider nicht ganz richtig im Oberstübchen.«
»Verrückt?«
»Ja. Sie scheint zu glauben, dass ein totes Kind hinter der Kaminplatte steckt. Sie hat mich gefragt, ob es mein armes Kind sei.«
»Was für ein hübsches Thema«, sagte Tommy. »Aber von der Sorte wird es hier einige geben. Trotzdem sah sie nett aus.«
»Das war sie ja auch. Lieb und nett. Aber ich möchte doch wissen, was sie sich einbildet und warum.«
Plötzlich tauchte Miss Packard vor ihnen auf. »Auf Wiedersehen, Mrs Beresford. Hoffentlich haben Sie Kaffee bekommen?«
»Ja. Vielen Dank.«
Sie wandte sich an Tommy. »Miss Fanshawe hat sich bestimmt über Ihren Besuch gefreut. Es tut mir nur Leid, dass sie Ihre Frau so schlecht behandelt hat.«
»Ich glaube, das hat ihr besonders viel Spaß
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