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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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gekommen. Schlangen formierten sich vor seinem Pult, weil er versprochen hatte, im Anschluss noch mehr Bücher zu signieren. Wagner ging hinüber zu der kleinen Bar, die man gekonnt in die Landschaft aus Büchertischen und Regalen eingefügt hatte, und bestellte ein Kölsch. Es war acht Uhr durch. Für halb neun hatte sie einen Tisch in Marios Trattoria reserviert, einem italienischen Restaurant im Belgischen Viertel Kölns mit einem hübschen Garten vor der Tür, das für seine ausgezeichnete Pasta gerühmt wurde. Das Team der Buchhandlung, das die Lesung organisiert hatte, war eingeladen sowie zwei Journalisten, beide Vertreter der Neven-DuMont-Gruppe. Kölns Presselandschaft war monopolistisch geprägt. Die drei maßgebenden Tageszeitungen entstammten demselben Stall, ernst zu nehmende Konkurrenz war nicht in Sicht. Vielleicht darum brachten sie alle einen mehr oder weniger inspirierten und gut aufgelegten Kulturteil ins Blatt, weil Tick, Trick und Track nun mal keinen anderen als diesen einen Onkel Donald hatten, um dessen Gunst sie wetteifern mussten.
    Sie suchte in ihrer Handtasche nach ihrem Schminkspiegel, als sie aus den Augenwinkeln jemanden bemerkte. Im selben Moment verschwand die Gestalt in der Menge der Wartenden und Aufbrechenden. Was blieb, war ein verschwommener Eindruck von Paddy Clohessy.
    Wagner stutzte. Ihr Blick suchte die Umstehenden ab. Hatte sie wirklich Paddy Clohessy gesehen?
    Sie verließ die Bar und ging langsam durch die Menge, schaute sich genauer um. Dann trat sie hinaus auf die Straße.
    Sie musste sich geirrt haben. Ihr Hirn hatte Clohessys spitze Nase und das wirre Haar gespeichert. Jemand, dessen Äußeres ähnliche Merkmale aufwies, hatte ihr Erinnerungsvermögen genarrt.
    Nachdenklich ging sie zurück und gesellte sich zu O'Connor, der gerade von Kuhn mit Beschlag belegt wurde. Der Lektor war damit befasst, ihm Leute zuzuführen, die ihm ihre Bücher zum Signieren hinhielten wie Opfergaben. Er redete auf sie ein und pries O'Connors jüngstes Werk in einer Weise, dass es irgendwie klang, als habe er es selbst geschrieben. Wagner versuchte zu ignorieren, dass er eine beigefarbene Strickkrawatte über einem stahlblauen Feinkordhemd trug.
    »Dr. O'Connor«, sagte eine ziemlich hübsche Mittvierzigerin gerade. »Wie schaffen Sie es nur, dass Ihre Figuren mich so sehr berühren? Diese junge Farmerin, von der Sie vorgelesen haben, die den Kampf gegen dieses scheußliche Gekrabbele aufnimmt, sie ist so … menschlich … so warm … fast so wie …«
    »Ja?«, sagte O'Connor lauernd.
    »Wie ich!«, strahlte sie. »Ja, ich habe mich tatsächlich in ihr wieder gefunden! Als hätten Sie über mich geschrieben!«
    »Das freut mich«, sagte O'Connor. »Sie wird gefressen.«
    Die Frau schwieg. Sie nahm ihr Buch in Empfang, schlug es auf und betrachtete ehrfürchtig O'Connors lieblos hineingekritzelte Unterschrift.
    »Siehst du, Kika«, sagte O'Connor und lächelte dünn.
    »Ich sehe«, erwiderte sie.
    Zwischen ihnen spannte sich das Band des Einverständnisses.
    »Okay.« Kuhn zog die Nase hoch und stellte sich mit dem Rücken zu den restlichen Gästen, so dass er O'Connor gegen sie abschirmte. Offenbar hatte er beschlossen, dass es jetzt genug sei. »Ich habe Hunger. Was ist los, gehen wir essen? Die scharren hier ohnehin schon mit den Füßen. Können's wahrscheinlich kaum erwarten, sich von uns die Makkaroni bezahlen zu lassen.«
    »Wiederholen Sie das«, grinste O'Connor. »So, dass sie's hören. Es wäre mir ein Kontingent Champagner wert.«
    »Wenn das eine Mutprobe sein soll …«
    »Es ist albern«, sagte Wagner. »Außerdem würde man Ihnen den Rüpel nicht verzeihen. Liam ist ein Scheusal und weiß das ganz genau.«
    »Ich hatte nicht vor, mich darauf einzulassen«, stotterte der Lektor.
    »Gut. Ich muss Liam etwas sagen.«
    Kuhn blickte sie böse an. »Unter vier Augen, schätze ich. Meinetwegen. Wir sehen uns draußen.«
    Er schob in aller Gemütsruhe sein Hemd zurück in die Hose, das im Laufe zweistündigen Räkelns immer mehr zum Vorschein gekommen war, ging rüber zu einer der Buchhändlerinnen und begann, auf sie einzureden.
    »Was gibt's?«, fragte O'Connor.
    »Liam, ich …«
    Ein junger Mann schob sich zwischen sie und hielt ihm ein aufgeschlagenes Buch unter die Nase.
    »Können Sie reinschreiben ›Für Gisela zum Geburtstag‹?«
    O'Connor starrte ihn an.
    »Nein.«
    »Aber …«
    »Lernen Sie anzuklopfen. Das geht auch ohne Tür.«
    Er schob den Mann beiseite, hakte

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