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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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umtreibt. Machen wir ihm die Freude. So haben wir wenigstens unsere Ruhe.«
    »Na schön. Du bist der Boss.«
    »Warum so begeistert? Es ist doch nur eine Geschichte.«
    »Es ist eine dämliche Geschichte, die niemanden etwas angeht. Aber gut, nun, da du sie kennst, kann sie auch Kuhn kennen. Viel schlimmer ist, dass er unserem Bericht wahrscheinlich einen Vortrag über die Frühgeschichte des irischen Widerstands folgen lässt.«
    »Dem entziehen wir uns durch Flucht. Fliehen wollten wir doch sowieso. Wie wär's mit Shannonbridge?«
    »Kika, ich bin wie versteinert! Du hast eine Mission zu erfüllen, die Shannonbridge nicht vorsieht! Du musst auf mich Acht geben!«
    »Keine Angst! Ich bestimme den Zeitpunkt der Umkehr.« Sie lächelte vergnügt. Dann sagte sie: »Was denkst du eigentlich über Kuhn? Ich meine, du kennst ihn länger als ich. Magst du ihn?«
    »Gute Frage. Magst du ihn?«
    »Keine Ahnung.«
    O'Connor überlegte.
    »Doch, mittlerweile mag ich ihn schon ein bisschen. Glaube ich. Etwa so, wie die eingeschworenen Achtundsechziger ihr Woodstock-Video mögen. Du widmest ihm einen Abend unter Zuführung geistiger Getränke und bist ein Jahr lang bestens bedient.«
    »Du findest auch, er ist so etwas wie ein übrig gebliebener Hippie?«
    »Es gibt keine übrig gebliebenen Hippies. Es gibt nur erschütternde Fälle von Geistesgestörtheit. Es gibt auch keine übrig gebliebenen Rinder, nachdem jemand Hamburger draus gemacht hat. Kuhn hat mir Fotos gezeigt. Das war im ersten Jahr, als wir uns kannten. Er war tatsächlich mit dabei in Woodstock, wusstest du das?«
    »Nein.«
    »Mit langer Matte und wenig an. Die ganze Folklore. Aber im Schlamm gewälzt hat er sich nicht. Er muss gewusst haben, dass sein zukünftiger Chef das Video auch sehen wird.«
    »Er sagt, es sei die politische Zeit gewesen damals. Nicht seine persönliche, grundsätzlich, meine ich. Und dass wir keine politische Zeit mehr hätten.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, wir sind oberflächlich und tragen Chanel.«
    O'Connor verzog höhnisch die Mundwinkel.
    »Mach dir nichts draus. Das sagen alle, die ihren Neid auf die Jugend nicht offen äußern.«
    »Ich weiß nicht. Erinnere dich, was Silberman heute Morgen erzählt hat. Entertainment rules. Waren sie wirklich politischer damals?«
    »Es war höchst unpolitisch, dass sie nichts bewegt haben. Aber ich bin zu jung, Kika. Ich kann dir sagen, dass man Jaguar fahren sollte, wenn man was auf sich hält, und dass er möglichst nicht nach 1977 gebaut sein darf. Pragmatiker wenden ein, dass man in diesem Fall mit ständigen Motorschäden, Wasser im Unterboden und schlecht schließenden Fenstern zu kämpfen hat, und man sagt, ja eben! So muss ein Jaguar sein. Erst dann hat man ihn lieb.«
    »Ich bin beeindruckt. Was hat das mit Kuhn zu tun?«
    »In zwei Monaten werde ich vierzig, Kika. Dann ist alles, was ich sage, altersweise. Jetzt bin ich noch ein Greenhorn. Woodstock lag vor meiner Zeit. Wenn ich diesen Film sehe, überkommt mich Trauer. Ich erlebe schlechte Musik. Die meisten, die auf der Bühne standen, waren stoned und kaum in der Lage, auf der Gitarre die Akkorde zu finden. The Who waren so miserabel, dass sie recht daran taten, ihre Instrumente zu zertrümmern. Grace Slick hatte ihren Song für erste und zweite Stimme aufgebaut, aber keiner konnte überhaupt den Ton halten. Sicher, Johnny Winter war exzellent, Hendrix auch, und auf ihre flauschige Weise gefallen mir Crosby, Stills and Nash. Cocker, na ja. Joplin, das Grauen. Aber Kuhn wird jede Note, die gespielt wurde, jede Silbe, die gesungen wurde, trinken wie Nektar, und er wird sagen, ja eben! Es waren die Achtundsechziger. Wir waren politisch, und darum muss es schief klingen, darum ging es ja gerade. Es ist sein Zuhause. Und er hat sicherlich Recht, er mag sich und seine Generation als große Hoffnung empfunden haben. Mir teilt sich nur mit, dass zigtausende halbnackter Menschen im strömenden Regen einen Traum geträumt haben, in dem es darum ging, wogegen man war, und nicht, wofür. Nur eines stand fest: Eines Tages wird jemand vom Himmel steigen und Unrecht in Recht verwandeln. Aus einem Job wird er tausende machen und zwar so, dass man Geld hat, ohne arbeiten zu müssen, weil diese Jobs vornehmlich darin bestehen, Partys zu organisieren und Joints zu drehen. Und er wird machen, dass alle Menschen sich beim Vornamen nennen und die Börsenmakler sich Blumen ins Haar flechten und vielleicht Wall Street symbolisch in die Luft jagen. Und es

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