High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Eins
Es ist Mitternacht, und Daniels Uhr piepst. Sie hängt über meinem Kopf vom Dach des Zelts. In fünf Minuten geht meine Uhr los, eine Suunto X6. Sie hängt daneben. Besser jetzt aufstehen, als das digitale Gedudel noch einmal anhören zu müssen.
Wir haben drei Stunden geschlafen. Was heißt geschlafen? Nach dem langen Marsch von El Chaltén zum Camp haben wir uns einfach ins Zelt geworfen und sind weggedämmert.
Ich krieche aus dem Schlafsack und strecke die Nase aus dem Zelt. Saukalt. Der Wind hat ziemlich viel Schnee an die Wände des Zelts gepresst. Im Schnee pissen gehen, dann mache ich Wasser heiß. Zum Frühstück gibt es Steinpilztopf »Schwarzwald«. Unser Proviant ist nicht unbedingt Feinschmeckerware, aber er hat einen Vorteil: Er wiegt nicht viel. Die Jungs von Travellunch wissen, was wir brauchen, wenn wir am Berg unterwegs sind: möglichst wenig Gewicht im Rucksack. Eine Tasse Kaffee, Daniel trinkt Tee. Noch einmal checken wir die Ausrüstung durch. Stirnlampen auf die Helme montieren. Um eins geht’s los.
Es sollte jetzt ganz leise sein hier draußen, aber es ist laut. Der Wind pfeift und heult. Der Sound des Windes ist erstaunlich vielfältig, er brummt in Bass- und pfeift in Tinnitus-Tonlage. Der Berg ist die Orgel des Winds, und uns verpasst er seine Ohrfeigen. Scheißwetter.
Wir klettern, weil Charly gesagt hat, dass das Wetter gut wird. Wenn Charly sagt, dass das Wetter gut wird, dann wird das Wetter auch gut. Im Moment weiß das Wetter allerdings noch nichts davon.
Charly Gabl sitzt in Innsbruck. Er leitet die ZAMG, die »Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik«. Seine Prognosen sind verlässlich – fast hätte ich gesagt, wasserdicht, aber das passt ja nun gar nicht für das beschissene Wetter in Patagonien. Gestern haben wir via Satellitentelefon mit Charly gesprochen. Er sagte: »Schönwetterfenster im Anzug. Burschen, schaut’s, was geht.«
Also schauen wir, was geht.
Der Cerro Torre ist wunderschön. Vielleicht der schönste Berg der Welt, und das sage ich, obwohl ich Superlative hasse. Es ist mein Traum, den Cerro Torre, dieses Denkmal der Senkrechten, frei zu klettern. Der Freikletterstil fordert, dass sich der Alpinist ohne technische Hilfsmittel fortbewegt und Haken nur in den Fels schlägt, um sich zu sichern. Auf der Route, die wir vorhaben, hat das noch keiner geschafft.
Die Sache ist auch nicht einfach, die alpinistischen Herausforderungen sind groß. Der Berg ist im Westen von einer permanenten Eisschicht überzogen. Auch die Ostwand ist stellenweise vereist. Sobald es zu warm ist, brechen riesige Eiskaliber ab und donnern in die Tiefe. Da hängst du besser nicht in der Falllinie.
Die Dimensionen der Wände sind anders als alles, was man aus den Alpen kennt. Höher. Länger. Abgeschiedener. Komplizierter. Vor allem aber ist das Wetter unberechenbar. In Patagonien, im äußersten Süden Argentiniens, sind die Verhältnisse permanent schwierig. Wolken, Sturm, Regen, Schnee. Frühjahr, Sommer und Herbst schieben sich auf nur wenige Monate zusammen: Dezember, Januar, Februar. Nur dann herrschen die Bedingungen, die du brauchst, um einen Plan wie den unseren zu verwirklichen. Der Plan lautet: Die sogenannte Kompressor-Route frei zu klettern.
Der freie Kletterstil entspringt einer Schule des Alpinismus, die mir gut gefällt. Als Sportkletterer bin ich gewöhnt, so zu klettern, und mit der Philosophie, den Berg so wenig wie möglich mit künstlichen Hilfsmitteln zu behelligen, kann ich durchaus etwas anfangen. Aber ich bin kein Purist. Ich habe Respekt vor den Meistern des technischen Kletterns, und ich will nicht ausschließen, selbst gewisse Routen in diesem Stil zu klettern, wenn freies Klettern nicht möglich ist. Ich will mir nicht Regeln auferlegen um der Regeln willen.
Keine Regel soll mir verbieten, großartige Erlebnisse zu haben.
Freies Klettern ist aufwendig. Um die Route am Torre machen zu können, die wir uns vorgenommen haben, müssen wir zuerst einmal auf den Gipfel und uns einen Eindruck verschaffen, ob frei klettern überhaupt möglich ist. Dann die richtige Linie finden und einrichten, das heißt, jene Haken zu setzen, mit denen wir uns beim freien Klettern absichern werden. Erst dann kann man überhaupt an die tatsächliche Begehung denken. Vielleicht kriegen wir die Chance. Vielleicht kriegen wir sie auch nicht. Nützen wollen wir sie auf jeden Fall.
Die Idee, den Cerro Torre frei zu klettern, war in Chile zur Welt gekommen. Ein Jahr
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