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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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sich nicht der leiseste Zweifel daran regen, dass der Gipfel reibungslos über die Bühne gehen würde. Sie konnten es sich nicht leisten, Leute umzubringen. Nichts wäre schlimmer, als wenn der einmal beschlossene Ablauf des Gipfels in letzter Sekunde geändert würde.
    Aber sie konnten es sich noch weniger leisten, dass jemand Ryan O'Dea verriet.
    Sie konnten sich Patrick Clohessy nicht leisten.
    Er zwang sich, ruhig zu bleiben und sich nicht umzusehen. Er bezweifelte, dass Jana sich in seiner Nähe blicken ließ, aber wo ihr Zerberus Mirko gerade herumschlich, war weniger klar zu sagen. Es hätte Clohessy nicht gewundert, in diesem Moment die Schritte des Serben hinter sich zu hören, nur dass man Mirko eben nicht hörte. Seit sich die Truppe vor Monaten zusammengefunden hatte, hatte er Mirko nur wenige Male gesehen. Er ließ sich selten blicken, tauchte zu festgesetzten Zeitpunkten auf und verschwand wieder. Nicht einmal Jana schien zu wissen, wohin er ging und was er in den verbleibenden neunundneunzig Komma neun Prozent seiner Zeit überhaupt tat. Jedes Mal hatte Clohessy in Mirkos Gegenwart tiefes Unbehagen verspürt. Mirko war in seiner lässigen Art so unspektakulär wie jeder x-beliebige Mann von der Straße. Immerzu vermittelte er den Eindruck, mit halber Aufmerksamkeit das Geschehen um sich herum zu beobachten, ohne selbst etwas Aufregenderes zu tun als zu essen und zu schlafen. Nicht einmal Sex schien der Kerl zu haben. Er sah nicht unbedingt schlecht aus, aber unterm Strich wirkte er so geschlechtslos, interessenlos und abwartend wie Ken aus der Barbie-Familie.
    Clohessy war Profi genug, um zu wissen, dass Mirkos nichtssagende Art seine Masche war. Dahinter verbarg sich ein analytisch arbeitender Verstand. Mirko war hochintelligent, sprach ebenso wie Jana fließend mehrere Sprachen und kannte sich in Dingen der Planung und Bewaffnung bestens aus. Clohessy dachte an den Tag zurück, als der Serbe gekommen war, um ihn zu rekrutieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er von Jana schon gehört. Jeder in der Szene kannte sie. Und keiner. Sie war ein Phantom. Selbst die CIA besaß seines Wissens nicht mehr als ihren bloßen Namen. Sie wurde in einem Atemzug mit Leuten wie Carlos genannt, Abu Nidal und den namenlosen Profikillern der Topliga. Niemand wusste, woher Jana stammte, wo sie lebte, nicht einmal, wie sie aussah, obschon Fotos von ihr im Umlauf waren. Sie veränderte ihre äußere Erscheinung, wie es ihr passte, und dass sie eine serbische Patriotin hätte sein können, war nie jemandem in den Sinn gekommen.
    Falls sie wirklich Serbin war. Falls Mirko Serbe war, wie er behauptete. Was wusste man schon, wenn man für eine Million etwas tat, ohne zu wissen, warum man es tat. Es war offenkundig, dass Mirko und Jana serbische Interessen vertraten. Hintermänner der Operation hatte keiner von beiden je erwähnt. Sie gaben sich den Anschein völliger Autonomie, aber Clohessy war sicher, dass sie im Auftrag einer ungemein potenten Macht arbeiteten. Seine Million jedenfalls schienen sie aus der Portokasse zu bezahlen.
    Eine Million.
    Es war genug, um der Spirale der Gewalt vielleicht doch noch zu entrinnen. Ein einziger Auftrag, der alles verändern konnte. Neue Papiere, ein neuer Name. Nie wieder Irland, schade um die Heimat, aber dafür ein Leben ohne Flucht und böse Träume.
    Er hatte sich in der Illusion gewiegt, die Iren würden ihn in Frieden gehen lassen, wenn er einfach nicht mehr wollte. Es wäre die Chance für einen Neuanfang gewesen. Ohne Gewalt. Aber man verließ die IRA nicht. Die Mitgliedschaft war lebenslang und ein langes Leben nicht unbedingt garantiert in einer Organisation, die innerlich von Misstrauen zerfressen war. Wie es aussah, würde die klassische IRA ohnehin zerschlagen werden. Als Folge blieb den meisten der beschwerliche Weg zurück in eine bürgerliche Existenz. Andere hingegen, wie Clohessy, die im Nervenzentrum der IRA-Forschung gearbeitet hatten, stellten eine Gefahr dar. Clohessy kannte die Köpfe der Organisation, zumindest einige von ihnen. Er war zu hoch aufgestiegen, um nach seinem Ausstieg noch weich landen zu können. Als Folge blieb ehemaligen Aktivisten wie ihm, erneut unterzutauchen in der Hoffnung, von den ehemaligen Kampfgefährten nicht aufgespürt zu werden, und ihre Dienste dem internationalen Verbrechen anzudienen. Am Ende war er, der Ire mit dem Herzen für den unabhängigen Norden, Teil eines offenbar serbisch-nationalistischen Kommandos geworden und hatte

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