Lautlos
begonnen, das von Jana und Gruschkow entwickelte System in die Praxis umzusetzen, unterstützt von einem, der ihm zuarbeitete. Seit vier Wochen war der YAG einsatzfähig. Bis heute hatten sie die Anlage täglich überprüft. Es grenzte an ein Wunder, aber die hochkomplizierte Steuerung und die ausgeklügelte Mechanik funktionierten mit der Präzision einer Atomuhr.
Clohessys Aufgabe war damit erledigt. Angesichts der neuen Entwicklung eine schreckliche Vorstellung.
Warum hatte er nicht kündigen können am Tag der Fertigstellung? Aber Jana hatte es nicht gewollt. Sie hatte es für klüger gehalten, dass er bis auf weiteres in den Diensten des Flughafens verblieb. Sie wollte nicht, dass sich dort vor dem Gipfel etwas in der Personalstruktur veränderte, das vielleicht Misstrauen auf den Plan rief. Zwar waren sie durch ein sechstes Mitglied der Gruppe abgesichert, aber die Minimierung aller Risiken stand im Vordergrund. Im Moment, da »LAUTLOS« abgeschlossen war, stand es ihm frei, aus dem Flughafen zu verschwinden. Und keine Sekunde vorher.
Clohessy erreichte die Hausnummer achtunddreißig, schloss auf, trat in den dunklen Hausflur und wartete, bis die schwere Bohlentür des Altbaus hinter ihm ins Schloss gefallen war. Dann hastete er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, in den zweiten Stock, stürzte in seine Wohnung und ließ sich gegen die Flurwand fallen. Der Spiegel auf der anderen Seite zeigte ihm ein Gesicht, das er nicht als seines erkennen mochte. Er sah aus, als sei er schon tot! Nur die brennenden Augen tief in ihren Höhlen zeugten davon, dass Paddy Clohessy verzweifelt über sein Leben nachdachte.
Genauer gesagt darüber, wie er vermeiden konnte, es zu verlieren.
Er sah erneut auf die Uhr. Es war 23.35 Uhr. Vor einer knappen halben Stunde hatten er und O'Connor sich am Rheinufer getrennt.
Glasklar erkannte er, dass Jana seinen Tod erwog. Die Frage war, ob er sie hatte glauben machen können, dass O'Connor ihm vertraute und bis morgen nicht auf dumme Gedanken kam. Er selbst glaubte es nicht. O'Connor war mit einem Übermaß an Phantasie ausgestattet. Er war zu klug, um sich hinters Licht führen zu lassen, und Clohessy hatte mehr erzählt als beabsichtigt. Statt den Physiker wie geplant einzulullen und sein Mitleid zu erregen für den armen untergetauchten Paddy, der nichts anderes wollte als seine Ruhe, hatte er sich zu einem grellen Outing hinreißen lassen. Er hatte O'Connor Einblick in sein Innerstes gewährt, um ihm klar zu machen, warum sie nichts mehr miteinander zu schaffen hatten. Und mehr noch, um sich selbst klar zu machen, was mit ihm geschehen war vor fünfzehn Jahren, als er die Frau verließ, die er liebte, um sich nicht eines Tages blutbesudelt neben ihrer Leiche wiederzufinden, das Messer in der Rechten und seinem entfliehenden Verstand hinterherstarrend.
Sie wollten ihn töten. Wollten sie das wirklich?
Er zwang sich zur Ruhe und überlegte. Wenn er blieb, musste er hoffen, dass Jana kein Risiko mehr in ihm sah. Der Lohn wäre die Million. Irrte er sich, würde er die Million nicht mehr brauchen.
Er konnte fliehen. Ohne die Million. Dafür mit seinem Leben.
Clohessy schätzte, dass ihm ein, zwei Stunden blieben. Falls Jana wirklich plante, ihn verschwinden zu lassen, mussten sie ihn vor seinem Dienstantritt liquidieren. Womöglich gaben sie ihm Zeit, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Vielleicht wollten sie ihn im Schlaf ermorden.
Himmel, was für Gedanken.
Geld oder Leben!
Nie hätte er gedacht, dass die alte Bankräuberfloskel eine solche Bedeutung für ihn bekommen würde. Ohne die Million war er wertlos, ein Nichts auf der Flucht, ein Niemand. Alles wäre umsonst gewesen.
Eine Million!
Sollte er wirklich eine Million in den Wind schießen?
Schweißnass stieß er sich von der Dielenwand ab und begab sich ins Bad. Er drehte den Hahn auf und schlug sich kaltes Wasser ins Gesicht, mehrmals, bis die fiebrige Hitze aus ihm wich. Als er sich eben besser zu fühlen begann, klingelte sein Telefon.
Jedes Klingeln traf ihn wie ein Stromstoß. Er verharrte über das Becken gebeugt, die Hände zur Schale geformt, durch deren Ritzen Wassertropfen nach unten fielen. Erneut schien seine Kehle sich zuzuschnüren und sein Herz zu stolpern.
Er wartete, und es klingelte weiter. Nach dem sechsten Klingeln schaltete sich sein Anrufbeantworter ein und sagte sein Sprüchlein auf.
Eine Sekunde lang rauschte es in der Leitung. Dann legte jemand auf.
Gingen sie davon aus, dass er noch nicht
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