Lautlos
Schlamperei war, die auch sein Zuhause beherrschte. Angetrockneter Kaffee stank nicht. Manchmal standen die Tassen eine Woche oder zwei herum. Solange sich niemand darüber beschwerte, war es beinahe wohnlich.
Sinnend starrte er auf den Fernseher.
Er sollte gehen. Er hatte herausgefunden, weswegen er hergekommen war. Weder Wagner noch O'Connor hielten sich hier auf und auch nicht in der Begleitung Clohessys.
Natürlich konnte man noch einen Blick auf diesen Schreibtisch werfen.
Du bist unanständig, Kuhn, schalt er sich. Nicht das Geringste hast du hier verloren! Mach endlich, dass du rauskommst.
Aber gegen die Angst erhob sich der degeneriert geglaubte Philip Marlowe in Kuhn plötzlich zu ungeahnter Größe. Dass die beiden Nervensägen nicht hier waren, musste keineswegs ein Beweis für Paddys Unschuld sein. Was immer sich in diesem Zimmer fand, konnte durchaus von Interesse sein.
Und er, Franz Maria Kuhn, wäre der Mann, der den Schleier lüftete.
Er zögerte. Abenteuerlust wechselte mit Fluchttrieb.
Dass er zu lange gezögert hatte, wurde ihm klar, als er das leise Schaben und Kratzen hörte.
Jemand machte sich an der Wohnungstür zu schaffen!
Kuhn fühlte, wie das Blut aus seinem Kopf wich und ihn lähmende Schwäche überkam. Unfähig, sich zu bewegen, lauschte er in die Stille hinein.
Es war mehr eine Ahnung als ein klar vernehmliches Geräusch, nur Schwingungen von Bedrohung. Aber es reichte, jedes weitere Interesse an Abenteuern in ihm ersterben zu lassen. Mit zu Grabe getragen wurden die letzten Reste von Courage.
Die Klinke wurde heruntergedrückt.
Plötzlich schien er Flügel zu besitzen. Der Schwung des Entsetzens trug ihn in die Diele und ins gegenüberliegende Bad, schneller, als der unbekannte Eindringling den Griff ganz nach unten bewegen konnte. Die Badezimmertür schwang zu, fiel mit leisem Klicken ins Schloss, gerade, als die Tür zum Hausflur mit unvermeidlichem Quietschen aufging. Die Geräusche überschnitten sich, wurden eins. Kuhn starrte wie irrsinnig in die Dunkelheit, sprang in die Duschtasse, schloss den Vorhang und rutschte an den Kacheln entlang nach unten, bis sein Hinterteil den Boden berührte.
In den ersten Sekunden hörte er nur das Blut in den Ohren rauschen. Es schien aus sämtlichen Öffnungen seines Kopfes spritzen zu wollen. Sein Herz hämmerte einen unbarmherzigen Takt.
Sein Herz. Oh Gott, wie laut!
Er würde es hören! Der, die, das da draußen würde sein Herz klopfen hören und ihn holen kommen.
Ruhig. Ruhig!
Nach den furiosen letzten Sekunden fühlte er sich in der plötzlichen Stille wie ein Hühnchen in Gelee. Von jenseits der Badezimmertür erklang nicht das leiseste Geräusch. Oder täuschte er sich? Mühsam zwang er die Panik herunter und lauschte.
Doch, jemand musste in der Wohnung sein. Jemand, der sich sehr leise bewegte.
War es Clohessy? Oder der Mann mit dem slawischen Akzent? Dann saß er tatsächlich in der Patsche. Es hatte kein Licht gebrannt, als sie aus der Wohnung gegangen waren, und außerdem hatten sie die Tür aufgelassen. Wer immer da herumschlich, musste wissen, dass außer ihm noch jemand hier war.
Kuhns Hand tastete nach dem Nokia in der Innentasche seines Jackets. Er zog es hervor und aktivierte den Speicher. Das Display leuchtete auf. Eine Reihe von Nummern erschien. Er drückte den Daumen auf die Continue-Taste, bis Kika Wagners Name auf dem kleinen Bildschirm erschien, und ließ die Automatik wählen.
Geh ran, dachte er. Wo immer du bist!
Es klingelte durch. Wie gehabt. Keine Mailbox, nichts.
Kika, um Himmels willen, wo bist du?
Er musste sich irgendwie bemerkbar machen. Mit zitternden Fingern begann er, dem Handy eine Nachricht einzugeben. Ein Rest seiner Ratio soufflierte ihm, was er zu schreiben hatte. Sagen, wo er war, was er wusste – und um Hilfe rufen.
Geräusche. Schritte. Jemand blieb vor der Badezimmertür stehen.
In fiebernder Hast jagten Kuhns Finger über die Tastatur. Mit jedem Tastendruck gab das Handy ein dünnes Fiepen von sich. Der Speicher begrenzte die Nachricht auf einhundertsechzig Zeichen, aber die würde er ausnutzen, ganz gleich, wie oft er sich verschrieb.
Die Tür wurde geöffnet.
Licht fiel ein und färbte den Vorhang vor Kuhns Augen wolkig blau. Er stoppte die Eingabe. Schreiben konnte er jetzt vergessen. Nur warten und hoffen, dass der andere gehen würde, ohne die Dusche zu inspizieren.
Abschicken, durchfuhr es ihn. Du musst die verdammte Nachricht abschicken.
Es wird fiepen, wenn
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