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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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das?«
    »Wenn ich sterben muss, damit Ihr Vorhaben gelingt, habe ich ein verständliches Interesse daran, oder?«
    Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet, während ihre Lider schwerer zu werden schienen. Dann drehte sie sich wortlos um und ging davon.
    »Ich weiß, was Sie vorhaben«, schrie Kuhn ihr hinterher.
    Sie verharrte.
    »So«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
    »Es ist ein Verbrechen! Keine Heldentat. Wenn Sie das tun, sind Sie nicht besser als jeder Ihrer Feinde.«
    Es war ein Versuch auf gut Glück. Aber er brachte ein Resultat, wenn auch nicht ganz das, was Kuhn sich erhofft hatte. Sie fuhr herum und kam mit raschen Schritten zu ihm zurück. Ihre Augen blitzten vor Zorn.
    »Und was weißt du, wer meine Feinde sind?«
    »Ich … ich weiß es nicht, aber –«
    »Dann sprich nicht darüber.«
    »Sie sind keine Italienerin. Sie sind Russin oder Serbin. Sie –«
    »Und wenn?«
    »Ihr habt verloren«, schrie Kuhn wieder. »Ihr habt verloren, könnt ihr das nicht begreifen? Ihr – habt – verloren!«
    Jetzt war alles aus. Alles vorbei.
    Sie starrte ihn an.
    »Ja, das mag sein«, zischte sie. »Aber ihr habt nicht gewonnen. Ihr habt Milošević nicht kleingekriegt, er ist immer noch da, und er wird euch weiterhin auf der Nase herumtanzen. Ihr habt nicht ihn und seine Truppen in die Steinzeit gebombt, sondern mein Volk und das Land, das ihr befreien wolltet. Eure Nato, euer Kanzler, der Präsident der Amerikaner, ihr denkt immerzu, die Frage nach dem Sieg sei eine Frage der technischen Überlegenheit. Die habt ihr weiß Gott demonstriert. Aber wie lange hat es gedauert, bis eure Technik den Diktator in die Knie gezwungen hat? Wer hatte alles zu leiden unter eurer Überlegenheit? Ihr redet von der Wiederherstellung von Werten und werft Bomben, aber wie viele serbische und albanische Werte habt ihr dabei vernichtet, wie viele Menschen sind dabei umgekommen?«
    Ihr Atem schlug ihm entgegen. Kuhn drückte den Kopf in den Nacken und zog die Schultern hoch.
    »Ihr habt euer elendes Gesicht wahren wollen«, fuhr sie fort. »Nur darum ging's euch. Verlogene Hunde! Ihr hättet das Bombardement tausendmal stoppen können, aber es wäre nicht mit eurem Verständnis von einem Sieg einhergegangen. Man muss das ganze schöne Spielzeug schließlich ausprobieren. Ihr infantilen Narren, was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid? Dieser Schwachkopf Bill Gates, kennst du sein letztes Buch?«
    Kuhn schüttelte den Kopf.
    »Aber ich. Es heißt Business at the speed of light. Du solltest es lesen, wenn du noch dazu kommst. Er hat ein Computerprogramm entwickelt, es heißt Falcon View, und er schreibt mit kindlicher Begeisterung darüber, man könne damit zum Beispiel jugoslawische Brücken zerstören. Ihr denkt, die Welt ist ein Wargame ! Wir alle haben verloren, das ist die Tragödie. Unser Diktator hat sich über die Menschenrechte hinweggesetzt, eurer in Amerika über die Demokratie, er hat die UNO umgangen und Russland gedemütigt, um Menschen im Namen von Menschenrechten zu bombardieren! Und ihr wollt gewonnen haben?«
    »Wir haben Milošević bombardiert«, versetzte Kuhn. »Wir –«
    »Wer, wir? Die Deutschen? Warum die Deutschen? Weil die Nato gesagt hat, wenn wir mit Bomben drohen, dann wird auch bombardiert, wie stünden wir denn da? Oder weil ihr das ganze Gezeter satt hattet, wie man Hitler hätte stoppen können, wenn man ihm nur früher aufs Dach gestiegen wäre?«
    »Na und?« Kuhn ballte die Fäuste. »Hätten wir lieber zusehen sollen, wie ihr ein paar hunderttausend Kosovaren abschlachtet? Und Russland, toll, sie haben einen Haufen Minderwertigkeitskomplexe mit ihrem alten Säufer an der Spitze, hätten wir sie deshalb auf den Knien bitten sollen, einem Massenmörder Einhalt zu gebieten? Gedemütigt, du lieber Gott, armer Osten, ihr tut mir ja alle so leid mit eurem Amselfeld und dem verlorenen Weltmachtstatus, zum Kotzen! Die Russen haben zugestimmt, Milošević zu stoppen. Gerade die Russen sollten wissen, was das für Typen sind, die Massendeportationen und die Ausrottung ganzer Volksgruppen veranlassen, und wir in Deutschland wissen es am allerbesten. Darum haben wir zugeschlagen, darum war es richtig, es war richtig!«
    Die Frau presste die Lippen aufeinander.
    »Ja, ihr habt eure Probleme gelöst.«
    Kuhn hing an seiner Kette und machte sich bewusst, was in diesen Minuten geschah. Ein Verschleppter, der möglicherweise nur noch kurze Zeit zu leben hatte, diskutierte mit seiner Entführerin über Krieg und

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