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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Sie?«
    »Ich ziehe es vor, stilvoll unterzugehen«, sagte O'Connor. »Was bietet die Abteilung Portwein?«
    Der Barmann strahlte. Nacheinander stellte er eine ansehnliche Kollektion älterer Jahrgänge auf den Tresen.
    O'Connor studierte mit Wohlwollen die Etiketten.
    »Gut, gehen wir systematisch vor. Clinton gilt als treibende Kraft der Nato-Intervention. Die Serben zum Beispiel dürften einigermaßen sauer auf ihn sein. – Geben Sie mir den Achtundsiebziger Delaforce und eine Hand voll Nüsse.«
    »Sie sind viel saurer auf Blair und Schröder«, bemerkte Silberman. »Von den Amerikanern haben sie nichts anderes erwartet als Krawall, aber schon wieder von Deutschland angegriffen zu werden, warum auch immer, das hat sie regelrecht traumatisiert.«
    »Diesmal war's aber nicht die Wehrmacht.«
    »Na und? Sie verkennen den serbischen Opfermythos. Wenn Sie sich im Recht fühlen, ist es Ihnen verdammt egal, warum Sie jemand angreift, derjenige ist immer im Unrecht. Sie werden es kaum glauben, aber Clinton war ursprünglich wenig begeistert davon, sich überhaupt einzumischen. Man muss der moralischen Attitüde der Intervention nicht unbedingt misstrauen, aber verschiedenes relativieren. Mit diplomatischem Gewicht haben sich die USA erst engagiert, als die Übergriffe Belgrads gegen die albanische Zivilbevölkerung überhand nahmen. Um die Wahrheit zu sagen, es gibt Gerüchte, wonach die Großoffensive Serbiens gegen die UÇK im letzten Jahr mit stillschweigender Billigung Washingtons geschah. Clinton hat die Spaltung der UÇK betrieben, sie war ihm suspekt. Ebenso wie man drüben die Idee verwarf, dem Kosovo den Status einer dritten Republik im restjugoslawischen Verbund zu geben. Und zwar gleichberechtigt mit Serbien und Montenegro!«
    »Das konnte ja nicht klappen.«
    »Oh, es hätte klappen können! Es waren ja nicht mal so sehr die Serben, die am lautesten dagegen protestierten. Interveniert hat Montenegro. Aber die Vereinigten Staaten haben es damals möglicherweise für gut befunden, nicht ganz mit dem Belgrader Regime zu brechen. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, hatte Clinton nicht das mindeste Interesse an diesem Krieg. Er ist ein großer Harmonizer, unser Willie, kein Feldherr.«
    »Ich dachte, Holbrooke hätte schon letzten Sommer mit Bomben gedroht.«
    »Hat er. Weil Amerika davon ausging, mit dem Bluff durchzukommen. Gelang ja auch. Wir hatten dieses schöne Abkommen, Milošević rief ein paar Truppen zurück, und die OSZE richtete eine feine Mission im Kosovo ein. So weit, so gut.«
    »Verstehe. Oder auch nicht.« O'Connor schüttelte den Kopf. »Vielleicht würden Sie mir mal was erklären, Aaron.«
    »Wenn ich kann.«
    »Warum hofiert man ein Arschloch wie Milošević?«
    Silberman nahm einen Schluck Bourbon und ließ ihn einige Sekunden in der Mundhöhle. »Eine schöne Frage«, sagte er. »Ich will versuchen, eine Antwort darauf zu finden. Nein, es gibt eine Antwort! Sie ist denkbar einfach. Wir hofieren ihn, weil wir so sind, wie wir sind.«
    »Oh.«
    Silberman lächelte.
    »Wir sind westlich. Das ist überhaupt das Problem dieses ganzen Krieges. Wir können uns darüber streiten, ob wir schon früher oder überhaupt hätten eingreifen sollen, aber fest steht, dass alles, was wir getan haben, unserer westlichen Denkart entspricht. Sehen Sie, zu Beginn der Neunziger wurde das Kosovo schon auf die Tagesordnung der Verhandlungen gesetzt. Sie erinnern sich, die Jugoslawien-Konferenz. EU und UNO in hübscher Eintracht. Übrigens auch ein Beispiel für den Unwillen Washingtons, die europäischen Probleme zu amerikanischen zu machen. Die Parole hieß damals: ›We got no dog in this fight‹. Ende '95 hatten wir dann die Bosnien-Konferenz.«
    »Dayton.«
    »Richtig. Spätestens dort ist auch dem Letzten klar geworden, dass der Krieg ins Kosovo zurückkehren würde, nur weil die Serben da vor über sechshundert Jahren eine Schlacht verloren haben. Ach was, '89 war das schon klar, als Milošević die Autonomie des Kosovo aufhob! Scharen von Experten, Journalisten und Menschenrechtlern haben vorausgesagt, was jetzt passiert ist. Auch die westlichen Geheimdienste wussten das. Sie trugen dieses akademische Wissen mit sich herum, und zugleich gingen sie ihrer eigenen Mentalität auf den Leim. Wollen Sie wissen, was in Dayton passiert ist? Ein Mann trat auf, weltgewandt, jovial und kompromissbereit. Ein rational kalkulierender Staatsmann, der mit Marodeuren vom Schlage eines Karadzic oder Mladic nichts gemein

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