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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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hatte. Slobodan Milošević. Sofort rastete das typische Wahrnehmungsmuster ein, das unseren westlichen Demokratien so eigentümlich ist. Man hatte im Haufen der Fundamentalisten den Vernünftigen erkannt! Man war stolz darauf! Mit diesem Mann konnte man reden, der war zivilisiert. Wissen Sie, speziell wir Amerikaner sehen alles Fundamentalistische, was sich jenseits der Balkangrenze bewegt, als geifernden Fanatiker mit schwarzem Bart, glühenden Augen, erhobener Kalaschnikow und einem religiös bis nationalistisch verblendeten Rudiment von Verstand. Aber dieser Mann war anders. Darum haben wir ihn hofiert. Weil er sich als westlicher Staatsmann verkleidet hat. Milošević war sein eigenes Trojanisches Pferd, und wir haben ihn aufs diplomatische Parkett gerollt, anstatt ihm rechtzeitig ein paar Backpfeifen zu verpassen und ihn gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Dummer, dummer Westen. Dumme, dumme Psychologie.«
    O'Connor lächelte. Silbermans Charakterisierung war nach seinem Geschmack. Der Korrespondent hatte Recht. Und wiederum hatte er Unrecht.
    »Glauben Sie nicht, dass es gar nicht so sehr darum geht, ob Clinton den Krieg gewollt hat?«, sagte er.  »Mir kommt es manchmal so vor, als habe der Westen jahrzehntelang an einem Symbol seiner selbst gebaut, und merkwürdigerweise kam dabei der Präsident der Vereinigten Staaten heraus. Ich meine, den POTUS zu töten, ist für jemanden, der dem Westen eine verpassen will, immer richtig, oder?«
    Silberman schwenkte seinen Bourbon.
    »Da haben Sie leider Recht. Aber da ist der Westen selbst schuld. Wer sich heute darüber beklagt, Amerika habe die Nato-Intervention dominiert, sollte sich in Erinnerung rufen, wie erbärmlich die EU in Bosnien versagt hat.« Er machte eine Pause. »Sie haben Recht, und vielleicht will ich es einfach nicht wahrhaben. Aber wenn uns die Pferde nicht durchgegangen sind und KölnBonn wirklich Gefahr läuft, Schauplatz eines Anschlags zu werden, dann gilt er mit einiger Sicherheit Clinton.« Er sah auf die Uhr und verzog das Gesicht. »Und zwar in ziemlich genau zweieinhalb Stunden.«
SPEDITION
    »Nicht ganz zweieinhalb Stunden«, sagte Gruschkow zu Jana. »Etwas weniger.«
    Er war soeben in der Spedition erschienen, frisch und ausgeruht. Bei dieser Gelegenheit sah er zum ersten Mal den angeketteten Lektor. Er verzog das Gesicht und nahm Jana beiseite.
    »Was wollen wir noch mit dem?«, fragte er.
    »Wir müssen ihn nicht töten«, entgegnete Jana. »Wir müssen ja nicht jeden gleich umbringen.«
    »Dafür haben Sie den Penner vor vier Monaten ziemlich gründlich abserviert. Woher die plötzlichen Skrupel?«
    »Der Penner musste sein. Wir brauchten einen Test am Objekt.«
    Jana sah hinüber zu dem zusammengesunkenen Lektor. Er wirkte müde und deprimiert. Aus der Entfernung sah es aus, als döse er, aber sie wusste, dass er jede Kleinigkeit um sich herum mit nervöser Aufmerksamkeit verfolgte.
    »Er ist nicht dumm«, sagte sie. »Ich dachte, er sei ein Feigling, aber er hat eigentlich nur Angst vor seiner eigenen Courage. Dafür was auf dem Kasten. Ich weiß nicht, ob wir ihn noch brauchen.«
    Gruschkow verzog die Mundwinkel.
    »Sie wissen sehr genau, dass wir ihn nicht mehr brauchen. Sie wollen ihn nicht töten, das ist alles. Na ja. Sie sind der Boss. Gehen wir an die Arbeit.«
    Er richtete eine Fernbedienung auf die Längsseite der Halle, die zum Hof hin lag. Ein metallisches Rasseln erklang, als sich die Hälften des großen Tores in Bewegung setzten und auseinander glitten. Tageslicht fiel herein und überschwemmte die trübkalte Neonatmosphäre. Ein leichter Wind drang ins Innere. Aus einem postkartenblauen Himmel brannte die heiße Junisonne herunter. Mit Blick ins Freie sah man nun auch, dass sich die Schienen, auf denen der YAG ruhte, bis weit in den Hof hinein erstreckten und kurz vor der Mauer endeten.
    Gruschkow nickte hochzufrieden.
    »Könnte nicht besser sein.« Er trat hinaus ins Sonnenlicht und schaute aus verengten Lidern in den Himmel. Dann drehte er sich zu Jana um.
    »In Ordnung«, rief er. »Fahren Sie das Ding ab.«
    Jana trat zu der Schaltkonsole, die am rückwärtigen Ende des YAG aus dem Boden wuchs. Die Oberfläche teilten sich ein dicker grüner und ein ebensolcher roter Knopf. Sie drückte den grünen Knopf und richtete den Blick auf den YAG.
    Ein Generator sprang summend an. Mit kaum wahrnehmbarem Ruckeln setzte sich die zwölf Meter lange und fast ebenso tiefe Konstruktion aus aneinander geschweißten

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