Lautlos
in die Polster rutschen zu lassen, dass sein Hemd den Kontakt zum Hosenbund verlor. Zwei Fingerbreit behaarten Bauchnabels wurden sichtbar. »Ihr seid überhaupt eine ganz arme Generation. Eure Eltern hören dieselbe Musik wie ihr, tragen dieselben Klamotten, und sympathisieren dürft ihr nur noch mit Benetton oder Kookai. Wir hatten wenigstens noch jemanden, den wir richtig hassen konnten.«
»Ja, toll!«, sagte Wagner. »Darum seid ihr auch alle in gutbürgerlichen Berufen gelandet. Mir ist Kookai schon lieber als der prinzipienlose Schwachsinn eurer viel gerühmten Achtundsechziger.«
»Na, na!«
»Doch, das klang alles ganz klasse! Bloß dass ihr nichts daraus gemacht habt. Oder sehe ich das falsch?«
Kuhn schlürfte seinen Kaffee. Er wirkte beleidigt.
»Jedenfalls haben wir den Sinn des Lebens nicht ausschließlich darin gesehen, im Chanel-Kostümchen rumzulaufen.«
Kuhn geisterte im Chanel-Kostüm durch Wagners Vorstellungsvermögen und entlockte ihr ein Glucksen.
»Wollen wir uns über Mode unterhalten?«, fragte sie. Als Kuhn nicht antwortete, widmete sie sich wieder ihrer Zeitschrift, halb verärgert, halb belustigt über seinen unerschöpflichen Fundus an Pauschalismen. In einer Besenkammer ihres Verstandes wusste sie, dass er so Unrecht nicht hatte. Aber es missfiel ihr, Kuhn in irgendetwas recht zu geben. Zumindest nicht, solange er es vorzog, Platitüden zu verbreiten.
Was ich selbst auch ganz gern tue, dachte sie plötzlich schuldbewusst. Das mit den Achtundsechzigern hätte ich mir eigentlich sparen können.
Die Tür zur Lounge öffnete sich geräuschlos, und eine Frau in Lufthansa-Uniform trat ein. Sie war auffallend hübsch, aber es spielte keine Rolle. Sie hätte Miss World sein können. Jedes Interesse an ihr musste zwangsläufig erlahmen angesichts der Erscheinung, die ihr folgte, ein fast leeres Glas in der Hand, einen Aktenkoffer unter den Arm geklemmt und ein seltsam konspiratives Lächeln auf den Lippen.
Im Moment, da Kika Wagner Liam O'Connor erblickte, wusste sie, dass er der attraktivste Mann war, den sie in ihrem ganzen achtundzwanzigjährigen Leben gesehen hatte.
Und es machte sie nicht gerade glücklich.
Fotos von O'Connor kannte sie zur Genüge. Dementsprechend war sie nicht überrascht, dass er gut aussah, sondern, wie gut er aussah. Kein Bild konnte diesen Eindruck vermitteln, keine Videoaufnahme. Liam O'Connor betrat den Raum und veränderte seine molekulare Beschaffenheit. Kraftfelder schienen von ihm auszugehen, die vielleicht keine Elektronen aus ihrem Verbund herauszureißen vermochten wie die Photonenstöße in seinen Experimenten, aber durchaus geschaffen waren, festgefügte Persönlichkeiten in Konglomerate hilflos trudelnder Gemütspartikel zu verwandeln. Von Marlon Brando hieß es, er habe als junger Mann durch sein bloßes Erscheinen eine in vollem Gange befindliche Party schlagartig verstummen lassen, und eine ähnliche Magie schien auch O'Connor eigen zu sein. Nur dass der irische Doktor einen Kopf größer war als der Schauspieler.
Die Stewardess sah sich um und erspähte Kuhn, der augenblicklich hochfuhr. O'Connor verlor im selben Moment sein Lächeln, beäugte erst ihn und dann misstrauisch sein Glas, als könne Kuhn etwas dafür, dass es fast leer war. Er musste den Lektor erkannt haben, schließlich traf er ihn regelmäßig seit einer Reihe von Jahren und hatte ihn erst vor achtundvierzig Stunden in Hamburg verlassen. Dennoch legte er ein ostentatives Desinteresse an den Tag. Er warf den Aktenkoffer auf den nächststehenden Sessel, fuhr sich durch das silbergraue Haar, das in seltsamem Kontrast zu seinen jugendlichen Zügen stand, und begann, irgendeine Melodie zu summen.
»Liam!«
Kuhn flitzte auf den Physiker zu, wollte seine Rechte ergreifen und stockte. O'Connor tat, als finde er aus fernen Welten zurück in die bittere Realität, starrte Kuhn an und drückte ihm das Glas in die Hand.
»Voll machen«, sagte er.
»Ihr Willkommensdrink dürfte an der Bar stehen«, bemerkte die Stewardess.
Sie scheint der Magie nicht verfallen zu sein, stellte Wagner fest, während sie hinzutrat. Eher wirkte sie belustigt, wie eine Mutter, deren Filius in kurzen Hosen Erwachsener spielt.
Das also war der Mann, auf den sie aufzupassen hatte.
»Wagner«, sagte Wagner zu O'Connor.
Sie hatte sich unzählige Male ihren Namen sagen hören. Warum kam es ihr heute so vor, als habe ein Kakadu durch sie gesprochen?
Er sah sie an, offenbar verwirrt, seine Aufmerksamkeit
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